Bozen – Im Frühling gab Südstern bekannt, dass sich zu den bereits bestehenden „Südstern-Planeten“ Medizin, Banking & Finance, Science, Erneuerbare Energien und dem Start-up Planeten Silicon Valley ein neuer „Planet“ gesellen würde: Planet Recht. Die Idee dahinter: Juristinnen und Juristen zwischen Südtirol und der Welt sollten miteinander vernetzt und Veranstaltungen zum Thema Recht angeboten werden.
Nun fand die erste Veranstaltung von „Planet Recht“ statt. Dabei ging es um aktuelle Entwicklungen im europäischen Wettbewerbsrecht.
Walter Obwexer, EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann und Kartellanwalt Paul Seppi beleuchteten die neuesten Entwicklungen aus der akademischen, der europapolitischen und der anwaltlich praktischen Perspektive beim Treffen im Batzenhäusl in Bozen.
EU-Recht
Walter Obwexer, Inhaber des Lehrstuhls für Völkerrecht, Europarecht und Internationale Beziehungen sowie Dekan der Rechtsfakultät der Universität Innsbruck unternahm einen Streifzug durch die neueste Judikatur des EuGH in Sachen wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen, Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und verbotene Staatsbeihilfen (Art. 101, 102 und 107 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV).
Auch auf strukturelle Änderungen der Rechtsprechung des EuGH ging Obwexer ein: Die kürzlich vorgenommene Kehrtwende, in Fragen der Auslegung der Verträge Gültigkeit „erga omnes“ statt wie bisher nur im konkret verhandelten Einzelfall zu beanspruchen, führe dazu, dass man streng genommen alle Lehrbücher des Europarechts neu schreiben müsse.
Im Vortrag des EU-Parlamentariers Herbert Dorfmann ging es um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in der EU. Stand nach den Wahlen 2019 der „Green Deal“ im Vordergrund, so sieht sich die EU heute nach der Pandemie zusätzlich, mit einem Krieg vor der Haustür und im Nahem Osten vor gewaltigen geo- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen: Probleme in den Lieferketten, hohe Energiepreise, unfaire Handelspraktiken von China, Bevorzugung der heimischen Industrie in den USA (Inflation Reduction Act), stellen die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Wirtschaftsstandorts auf die Probe. Anders als die USA und China hängt das BIP der EU zu 50 Prozent vom internationalen Handel ab, weshalb sie von einem Handelskrieg am stärksten betroffen wäre. Abhängigkeiten zu verringern und dabei doch eine offene Volkswirtschaft zu bleiben sei eine Gratwanderung.
Das Recht in London
Den dritten Vortrag hielt Paul Seppi, Anwalt bei Willkie Farr & Gallagher in London. Der gebürtige Bozner ist spezialisiert auf Kartellrecht und – mit längeren Aufenthalten in Hongkong – seit 2013 in London tätig. Einerseits sei bei vielen von ihm betreuten Transaktionen, bei denen Unternehmen mit Sitz in der EU übernommen werden, nach wie vor das europäische Wettbewerbsrecht zu beachten, anderseits habe sich die angelsächsischen Standards (UK und USA) für große internationale Verträge weitgehend etabliert. In vielen Bereichen gleiche sich aber Großbritannien weiterhin dem Unionsrecht an.
Seppi wies auch, anhand des Beispiels des Mobilfunks, auf eine grundsätzliche Problematik der Wettbewerbspolitik hin: mehr Anbieter sorgen zwar tendenziell für niedrigere Preise, diese gehen dann aber meist mit schlechterer Qualität einher. In Großbritannien gebe es deutlich mehr Anbieter, doch blieben die Deckung und die technischen Standards hinter Ländern mit weniger Anbietern wie Italien oder Österreich zurück. Dies sei vor allem auf die mangelnde Investitionskraft zurückzuführen.