Innsbruck/Belgrad/Bozen – Es war ein warmer Frühlingstag, der noch nichts vom vielen Regen der kommenden Monate erahnen ließ, als Fabian Rauch in Tramin vor rund 70 Investorinnen und Investoren pitchte. „Sein Produkt ist relevant für die lokale Wirtschaft – und Fabian ist ein super Gründer“, stellte Eva Ogriseg fest. Die Geschäftsführerin des Südtiroler Business-Angel-Netzwerks tba network hatte das Event gemeinsam mit ihrem Team organisiert.
„Herr Maier, wie geht es Ihrer Tochter?“
Nervös machen Rauch solche Veranstaltungen nicht mehr. An die 40 Mal hat er die Businessidee seines Start-ups bereits vorgestellt, auch vor mehreren Tausend Zuhörern und Zuhörerinnen. Crqlar nennt sich dieses. Die Idee: erstens Hotels im gehobenen Sektor dazu verhelfen, den Schatz an Gästedaten, der meist im Verborgenen liegt, zu bergen. Und zweitens diese Daten dazu zu nutzen, das Gästeerlebnis zu verbessern. Die Hotels sollen zugleich von gesteigerter Effizienz und mehr Umsatz profitieren. „Wenn Frau Müller gerne Massagen bucht, muss ich ihr die richtige zum passenden Zeitpunkt anbieten“, erklärt Rauch. „Und wenn Herr Maier als Stammgast reinkommt, soll ihn jemand fragen, wie es seiner Tochter geht und wieso der Hund dieses Mal nicht mit angereist ist.“ Möglich machen soll das die Crqlar-Software. Gerade in Zeiten des Mangels an und der hohen Fluktuation von Mitarbeitenden sei es unerlässlich, Gästedaten an einem Ort abrufbereit zu haben.
„Wenn Frau Müller gerne Massagen bucht, muss ich ihr die richtige zum passenden Zeitpunkt anbieten.“
Zwei Jahre ist die Gründung nun schon her. Rauch war kurz zuvor im Hotel Goldener Berg in Lech am Arlberg eingeladen, um einen Vortrag zu datengetriebenem Onlinemarketing zu halten. Schnell musste er feststellen, dass es in der Hotellerie zig Softwares gibt, allesamt Datensilos, die nicht miteinander kommunizieren. Um das zu ändern, holte er drei Weggefährten ins Boot: Angel Ferrufino, Dijana Keri und Dejan Keri. Die vier kannten sich von einer vorherigen Gründung, Playerhunter, eine Art Tinder für Fußballer und Clubs. „Die Start-up-Achterbahn schon einmal gemeinsam gefahren zu sein, war und ist ein großer Vorteil. Wir kennen die extremen Höhen und Tiefen“, stellt Rauch fest. „Wer das noch nie erlebt hat, kann sich diesen Wahnsinn gar nicht vorstellen. Morgens stehst du mit dem besten Gefühl der Welt auf und denkst dir: ‚Heute läuft es richtig gut‘. Nur um mittags eine ‚Gnackwatschn‘ zu bekommen, wie man so schön sagt.“
Rauch, der Seriengründer
Fabian Rauch ist ein „serial entrepreneur“, ein Serien- oder Mehrfachgründer. Der gebürtige Innsbrucker mit Wurzeln in Südtirol (seine Mutter stammt von hier) programmierte bereits mit 16 Jahren seine ersten Websites und gründete im Anschluss mehrere Unternehmen, unter anderem eine Taxi-App, noch bevor es Uber gab. Sie schaffte es in Österreich auf Platz eins der Downloadcharts. Rauch verkaufte sie schließlich. In seinem Portfolio findet sich auch Onloom, ein Online-Teppichhandel. Die Idee dazu entstand bei einem Aperitif am Wörthersee. Ein Bekannter Rauchs lernte den größten Teppichlieferanten an große österreichische Einrichtungshäuser kennen und fragte kurzerhand, ob er die Ware nicht direkt verkaufen könnte. Neben seiner Arbeit bei Crqlar führt Rauch heute die digitale Performance-Marketing-Agentur Growth DNA. Doch nicht alles, was Rauch angreift, wird zu Gold. „Successfully failed“, erfolgreich gescheitert, sei er auch schon, erklärt der 38-Jährige – das gehöre eben dazu und habe enormen Lerneffekt.
Bei Crqlar fungiert Rauch, der an der Bocconi in Mailand studierte, nun als Mädchen für alles. Er bezeichnet sich als eine Art Übersetzer zwischen dem Verkauf, der weiß, was die Kundschaft will, und dem Entwicklerteam, das diese Wünsche umsetzt. Verantwortlich für erstgenannten Bereich zeichnet Rauchs Gründerkollege Angel Ferrufino. Er studierte an der WU Wien und arbeitete anschließend in führenden Sales-Positionen. Das Ehepaar Dijana und Dejan Keri, das das Gründerteam komplettiert, leitet die Entwicklung von seiner Heimat Serbien aus, wo auch mehrere der insgesamt sieben Mitarbeitenden sitzen. „Sie sind Programmierer bis ins Blut. Die bauen Sachen, die gibt es gar nicht“, stellt Rauch anerkennend fest. Alleine zu gründen, wäre für ihn „niemals infrage gekommen“, sagt er. Ein funktionsübergreifendes Team, in dem verschiedene Fachkenntnisse vereint werden, sei eine wichtige Voraussetzung für ein erfolgreiches Start-up. Außerdem können die anderen einen selbst auf den Boden holen, wenn man droht abzuheben, aber auch aufbauen, wenn man mal ein Stimmungstief hat.
Mehr als eine halbe Million Euro in der Pre-Seed-Runde
Der Erfolg von Crqlar spricht für sich. Mehr als eine Million Gästedaten hat das Start-up bereits gesammelt. 54 Hotels verwenden die Software schon, die sich direkt mit dem jeweiligen Property Management System (PMS) verbindet. Das Angebot ist modular und umfasst neben der CRM-Software die Bausteine Restaurant, App (digitale Gästemappe, Check-in, Buchungen von Dienstleistungen usw.) sowie Spa (u. a. Verwalten der Mitarbeitenden und Räumlichkeiten). Mittels künstlicher Intelligenz können Vorhersagen getroffen und Prozesse rationalisiert werden. Das Start-up möchte damit nicht nur während des Aufenthalts der Gäste ansetzen, sondern auch davor und danach. Zu diesem Zweck wird in den kommenden Wochen eine Marketingsuite mit Newsletter und Verbindung zu Facebook/Instagram und Google veröffentlicht.
„Wir suchen eineinhalb bis zwei Millionen Euro, um unser Wachstum weiter zu stärken und neue Märkte zu erschließen.“
Die Idee überzeugte bereits namhafte Business Angels. In seiner Pre-Seed-Runde konnte Crqlar mehr als eine halbe Million Euro einsammeln. Unter anderem investierte Gregor Hoch, der ehemalige Präsident der Österreichischen Hotelvereinigung. Unterstützung kam auch vom „Bocconi 4 Innovation Accelerator Programme“ (B4i). Für diesen Herbst ist die Seed-Runde geplant. „Wir suchen eineinhalb bis zwei Millionen Euro, um unser Wachstum weiter zu stärken und neue Märkte zu erschließen“, bekundet Fabian Rauch. Fundraising, stellt er fest, sei derzeit nicht leicht – selbst mit seinem Hintergrund. „Ich bin seit 20 Jahren im Business, habe ein wachsendes Start-up mit vorzeigbaren Umsätzen – und trotzdem ist es herausfordernd.“ Die Ursachen: hohes Zins- und Inflationsniveau, wackelige Konjunktur und geopolitische Unwägbarkeiten. Global betrachtet fielen die Start-up-Investitionen 2023 auf das niedrigste Niveau seit fünf Jahren.
Dennoch zeigt Fabian Rauch sich zuversichtlich. „In fünf Jahren wollen wir die dominante CRM-Software für die gehobene Hotellerie in Europa und dem Mittleren Osten sein.“ (siehe Interview). Ganz nach dem Motto: „Go big or go home.“
DIE SERIE Die SWZ stellt in diesen Wochen in der Serie „Start-up Südtirol“ junge Unternehmen und deren Gründer:innen vor, so wie bereits in den vergangenen Jahren. Alle Artikel können hier und in der SWZapp gelesen werden.
Interview
„Größer denken“
SWZ: Was macht für Sie ein Start-up aus?
Fabian Rauch: Erstens braucht es in meinen Augen ein skalierbares Produkt. Andererseits haben Start-ups andere Wachstumsansprüche und agieren dadurch viel risikoreicher. Facebooks internes Motto „Move fast and break things“, bewegt euch schnell und macht Dinge kaputt, ist das, wonach Start-ups sich richten müssen. Schon bevor ich überhaupt gründe, sollte ich versuchen, mein potenzielles Produkt zu verkaufen und meinen ersten Kunden zu generieren. Dann kann ich überlegen: Welchen Teil dieser Lösung kann ich zu einem skalierbaren Produkt machen? Genau hier ist anzusetzen. Zwei weitere Dinge finde ich wichtig.
Die wären?
Der familiäre Background muss passen. Ich selbst bin seit 22 Jahren mit meiner Frau zusammen. Sie unterstützt mich seit jeher und in allem, was ich mache, bei dem ganzen Start-up-Wahnsinn. Und es braucht Agilität. Das Team muss die Freiheit haben, auch mal etwas falsch zu machen. Nur so kann man lernen. Wenn eine Lösung schließlich beim Kunden ankommt, muss sie natürlich funktionieren.
Was könnte die Start-up-Szene hierzulande besser machen?
Ich frage mich ja, wieso Nord- und Südtirol alles getrennt voneinander machen, wo ohnehin schon alles so kleinstrukturiert ist. Gemeinsam könnte viel mehr bewegt werden. Außerdem sollten wir Gründerinnen und Gründer uns nicht ständig gegenseitig auf die Schultern klopfen und uns sagen, wie toll wir sind und wie risikoaffin. Stattdessen sollten wir uns gegenseitig herausfordern, offen sein für Kritik, diese aufnehmen und an unseren Schwachstellen arbeiten.
Wo möchten Sie selbst in fünf Jahren mit Ihrem Start-up stehen?
Wir möchten die dominante CRM-Software für die gehobene Hotellerie in Europa und dem Mittleren Osten sein. Noch ein Problem vieler Start-ups in der Region: Sie denken nicht groß genug. Marktführer in Südtirol oder Italien zu werden, ist zu wenig ambitioniert. Das liegt ein wenig am Mindset von uns Europäern allgemein. Manchmal braucht es auch größere Gesten. An einem entscheidenden Punkt mit unserem letzten Start-up ging ich mit meinem Mitgründer zum Bankomaten. Wir haben alles behoben, was wir noch auf unseren Konten hatten. Dann sind wir zum Team gegangen und haben gesagt: „Wir glauben an uns. Das ist alles, was wir noch haben. Wer vertraut uns und bleibt?“
Ist jemand aufgestanden?
Nein. Am Ende haben wir verkauft und alle waren glücklich.
Wie hat sich der Exit für Sie angefühlt?
Ich habe mich gefreut und war traurig zur gleichen Zeit. Anschließend bin ich in ein Loch gefallen, weil ich nicht mehr wusste, was ich den ganzen Tag mit mir anfangen sollte. Zum Glück hatte ich dann meine Hochzeit zu planen (lacht).