Cash Cows und Poor Dogs

Herr Steiner, Unternehmen, die schnell wachsen, müssen nicht unbedingt gesünder sein als Unternehmen, die sich langsam entwickeln. Das zeigt die Erfahrung. Wieso ist Wachstum so schwierig?Das Anspruchsvolle am Wachstum ist, die verschiedenen Kriterien zur Unternehmensentwicklung in Einklang zu bringen. Diese Kriterien umfassen einerseits interne Faktoren, wie Produktionskapazität, Mitarbeiterkompetenzen, Voraussetzungen für die Finanzierbarkeit des Wachstums sowie die Fähigkeit das Wachstum zu managen und andererseits die Marktfaktoren.Die da wären?Zu den Marktfaktoren gehören der Aufbau von erfolgswirksamen Kundenbeziehungen, die Differenzierung zum Wettbewerb und damit die Schaffung von einzigartigen Profilierungskriterien. Und wenn der Unternehmer hier nur auf einzelne Kriterien achtet, so kann es durchaus sein, dass nachher das große Erwachen kommt, wenn einzelne Faktoren nicht berücksichtigt werden und in der Euphorie Investitionen für das interne Wachstum getätigt werden.Wachstum passiert vielfach ja so gut wie automatisch: Die Auftragslage ist gut, es wird investiert, neue Mitarbeiter werden aufgenommen … und plötzlich findet sich das Unternehmen trotzdem in einer Krise wieder. Dann stellt sich die Frage: Was ist falsch gelaufen?Hier gibt es natürlich verschiedene Faktoren, die dazu führen, was falsch gelaufen sein kann. In unserer Beobachtung ist dabei zu erkennen, dass oftmals die Abhängigkeit in Kundenbeziehungen unterschätzt wird. Kein Kunde sollte im Sinne des prozentuellen Anteils am Gesamtjahresumsatz eine bestimmte Auftragsgröße überschreiten. So gibt es hier Kennzahlen, die zwischen 15 und 40 Prozent liegen. Wenn ein Kunde mit einem attraktiven Auftrag lockt, so gilt es auch die mittelfristige Sicherheit dieses Kunden abzuschätzen. Ist er bereit, die vorgeschlagenen Preise zu bezahlen, oder wird er nach einer bestimmten Zeit Druck auf das Unternehmen ausüben? Damit verbunden sind auch oftmals große Investitionen im internen Bereich, sprich in Mitarbeiter, Maschinen und Software.Weiters ist beim Wachsen zu beachten, dass das Einstellen von neuen Mitarbeitern mit erheblichen Kosten verbunden ist. Es braucht ein klares Anforderungsprofil, das ein Mitarbeiter für eine entsprechende Stelle erfüllen muss. Und schließlich ist zu beachten, dass die Einführungskosten des Mitarbeiters in das Unternehmen erheblich sind. Ein Mitarbeiter kann nicht bereits in den ersten Monaten voll produktiv sein. Und wenn Sie mehrere Mitarbeiter gleichzeitig einstellen, haben Sie damit eine erfolgsneutrale Rechnung.Das heißt?Mit erfolgsneutral ist gemeint, dass Sie damit noch kein Geld verdienen können, sondern nur die fehlenden Produktionskapazitäten auffüllen. Zu guter Letzt ist beim Wachsen auch noch zu beachten, dass der Unternehmer selbst bereit sein muss, sein Management aufzubauen. Er selbst wird sich von bisherigen Aufgaben lösen müssen, sich aus dem operativen Bereich immer mehr zurückziehen, um sich strategischen Aufgaben und Führungsaufgaben zu widmen. Hier sehe ich oftmals die Situation, dass Unternehmer sich zu wenig um den Aufbau des Managements bemühen und sich selbst viel zu sehr im Detail verlieren.Wenn Sie sagen, kein Kunde sollte einen gewissen prozentuellen Anteil am gesamten Jahresumsatz überschreiten, klingt das gerade so, als wäre es oft sinnvoller, ein Unternehmen in seinem automatischen Wachstum zu bremsen? Oder anders: Soll ein Unternehmer wirklich auf lukrative Aufträge verzichten?Ein automatisches und natürliches Wachstum des Unternehmens zu bremsen, wäre bestimmt nicht sehr sinnvoll. Doch Achtung: Was sind lukrative Aufträge? Was ist der Grund der Anfrage eines Kunden? Ist es wirklich so, dass das Unternehmen durch seine besonderen Fähigkeiten eine Wettbewerbsposition schaffen kann, oder füllt es gerade eine Lücke? Hat der Kunde genug Geld, um den Auftrag zu bezahlen? Kann eine dauerhafte Kundenbeziehung aufgebaut werden? Das natürliche Wachstum eines Unternehmens ist ein Erfolgsfaktor, damit hier eine entsprechende Wettbewerbsposition erreicht werden kann. Sie brauchen eine Marktposition, die Ihnen ermöglicht, im Sinne eines oligopolen Marktgefüges eine lenkende Funktion zu erreichen. Oligopol meint, dass drei bis fünf Wettbewerber sich um einen Kunden und seine Aufträge bemühen. Oligopol meint auch, dass Sie zu diesem Zeitpunkt noch keine großen Wettbewerbsunterschiede haben und es gilt nun gerade diese zu entwickeln und klar zu festigen. Und wenn es gelingt, über die Differenzierung zum Wettbewerb eine starke Profilierung zu erreichen, so kann dieser Auftrag als wirklich lukrativ angesehen werden. Ein lukrativer Auftrag ist daher nicht nur dann gegeben, wenn Sie einen guten Preis für ein kurzfristiges Geschäft bekommen, sondern wenn Sie damit eine partnerschaftliche Beziehung auf Dauer aufbauen können.Was sollte ein Unternehmer beachten, wenn er ins Auge fasst zu wachsen – egal, ob auf neuen Märkten, mit neuen Produkten oder mit neuen Tätigkeiten?Was muss ein Unternehmer beachten im Sinne von Portfolio? Portfolio – im Italienischen Portafoglio genannt – bedeutet, dass man in verschiedenen Fächern die einzelnen Optionen hat. Was haben Sie für Optionen, um die derzeitigen Kundensituationen gut zu nützen und damit im Sinne von „Cash Cows“ auch Geld zu verdienen?Doch auch wenn Sie gute Kundenbeziehungen haben und damit mit „Cash Cows“ Geld verdienen können, wie tragen Sie dazu bei, für den entsprechenden Nachwuchs sorgen? Das heißt: Wo sind Sie bereit, in neue Produkte und Märkte zu investieren, um in Zukunft eine entsprechende Erfolgsposition aufzubauen. Und wo haben Sie in der letzten Zeit bereits Nachwuchs aufgebaut, der sich jetzt langsam entwickelt und alle Vorzeichen erfüllt, in Zukunft zu den gewünschten „Cash Cows“ zu werden?Auch braucht es die Klarheit und Kraft, sich von nicht mehr rentablen Geschäften und Kundenbeziehungen zu trennen. „Poor Dogs“ werden sie genannt, die Produkte und Kundenbeziehungen, die nicht mehr erfolgreich sind und auch für ein zukünftiges Wachstum keinen Beitrag mehr leisten. Die Trennung von diesen Geschäften gibt wiederum den Freiraum, sich auf neue und attraktive Geschäftsentwicklungen zu konzentrieren.Den richtigen Zeitpunkt für den nächsten Wachstumsschritt erwischen, ist wohl das große Erfolgsgeheimnis. Doch wie kann der Unternehmer diesen richtigen Zeitpunkt erkennen?Den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, hat sehr viel mit der Intuition des Unternehmers zu tun. Wenn Sie sich im Vorfeld beim Aufbau der Wachstumsmöglichkeiten im Sinne von Szenarien bereits damit beschäftigen, welche Optionen Sie in Zukunft haben werden, werden Sie sich in dieser Situation wesentlich leichter tun. Wenn Sie sich in dieser Situation zusätzlich mit Ihrem Management oder Ihrem beratenden Umfeld abstimmen, so werden Sie die Chancen und Möglichkeiten viel besser erkennen können. Der richtige Zeitpunkt ist sicherlich dann gegeben, wenn Sie die externen Faktoren im Sinne von Aufträgen und Kundenbeziehungen mit den internen Fähigkeiten der Produktivität und Kompetenz im Bereich von Management und Mitarbeiter in Einklang bringen können.Ist es überhaupt möglich, sich im stressigen Alltag eine klare Wachstumsstrategie zurechtzulegen und sich auch daran zu halten?Gerade im stressigen Alltag ist es besonders wichtig, eine klare Wachstumsstrategie im Sinne von Möglichkeiten zu überlegen. Arbeiten Sie im Sinne von alternativen Wachstumsmöglichkeiten Varianten aus, die Sie zum gegebenen Zeitpunkt nützen können.Seien Sie vorsichtig bei Überraschungen: Wenn zu schnelle und zu große Aufträge auf Sie zukommen, kann es dazu führen, dass bestehende Kundenbeziehungen gefährdet werden. Nehmen wir das Beispiel eines Mittelbetriebes, der plötzlich einen Auftrag bekommt, der 40 Prozent seiner Kapazität abdeckt: Hier ist die Gefahr in einem großen Ausmaß vorhanden, dass die bisherigen kleineren Kunden, die für ein zukünftiges Wachstum wichtig sein könnten, vernachlässigt werden. Und wenn der große Auftrag dann weg ist, dann werden auch diese kleinen Kunden weg sein, die durch ihre permanente Zusammenarbeit mit Ihrem Unternehmen einen wesentlichen Beitrag für den wirtschaftlichen Erfolg geleistet haben.Zusammenfassend kann ich aus der Erfahrung sagen, dass es wichtig ist, sich ab und zu in die Zukunft zu begeben. Nützen Sie das Modell vom Lösungszeitsprung.Lösungszeitsprung?Lösungszeitsprung ist eine Methode, wo Sie sich zwei bis drei Jahre in die Zukunft versetzen und überlegen: Was wäre, wenn sich das Unternehmen in einer bestimmten Art und Weise vergrößert hätte? Beachten Sie dabei besonders, wie weit das Wachstum im Sinne von qualitativen oder quantitativen Bereichen eine Entwicklung genommen hat. Qualitativ bedeutet Aufbau in Kompetenzen, Schaffung von Wettbewerbsvorteilen, Differenzierung zum Wettbewerb und partnerschaftliche und fundierte Kundenbeziehungen. Quantitativ wäre die Orientierung am Umsatz, den Stückzahlen, der Anzahl von Kunden und Aufträgen. Schätzen Sie daher genau ab, was für Sie im Vordergrund steht. Auch hier gilt wieder: Wo besteht die Möglichkeit, diese Faktoren in Einklang zu bringen bzw. in Zukunft das Unternehmenswachstum für die Stärkung Ihrer Marktposition und damit der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens erreichen zu können? ?

Cash Cows und Poor Dogs

Unternehmensberater Herbert Steiner: Wie wächst ein Unternehmen richtig?

Südtiroler Wirtschaftszeitung

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