Bozen – Mit dem Klimaplan 2040 hat sich Südtirol ambitionierte Ziele gesetzt. Unter anderem soll der motorisierte Individualverkehr in den kommenden Jahren um 30 Prozent reduziert werden, die Nutzung der Öffis soll um 70 Prozent steigen. Wollen wir das erreichen, werden wir unser Mobilitätsverhalten drastisch ändern müssen, so viel steht fest: mehr mit dem Fahrrad und Bus fahren, weniger mit dem Auto. Deren Zahl sollte, so die Vision, langfristig zurückgehen.
Einer der Bausteine, um Südtirols Verkehr nachhaltiger zu gestalten, ist ein funktionierendes Carsharing-Netz. Carsharing, das sich aus den englischen Begriffen „car“ (Auto) und „share“ (teilen) zusammensetzt, meint die gemeinschaftliche Nutzung von Autos. Anstatt dass sich jede:r ein eigenes Auto zulegt, werden Fahrzeuge nur bei Bedarf genutzt, die meisten Fahrten sollen mit Öffis zurückgelegt werden.
Carsharing braucht weniger Platz
Dieses Verkehrskonzept kann den Verkehr entlasten, weil es, so das Ergebnis mehrerer Studien, die Zahl der Autos und damit der benötigten Stellplätze im öffentlichen Raum reduziert. „Carsharing führt zur Abschaffung privater Pkw und bündelt die Pkw-Nutzungswünsche mehrerer Haushalte auf wenige Fahrzeugen“, liest man in einem Factsheet des Bundesverbandes Carsharing in Deutschland. Gleichzeitig haben Studien gezeigt, dass Carsharing das Mobilitätsverhalten ändern kann, weil die Nutzer:innen öfter verschiedene Verkehrsmittel verwenden, anstatt immer ins Auto zu steigen. Davon profitieren vor allem das Fahrrad und der ÖPNV.
Aus den ehemals 35 Verbrennerautos ist mittlerweile eine Flotte aus 61 E-Fahrzeugen geworden. Aber werden die Autos auch genutzt?
Auch in Südtirol gibt es seit mittlerweile mehr als zehn Jahren einen Carsharing-Anbieter. Die Genossenschaft „Carsharing Südtirol“ wurde 2014 ins Leben gerufen. Nach zehn Jahren verlieh sie 35 Fahrzeuge an mehreren Standorten. 2023 beschlossen die Landesenergiegesellschaft Alperia und Carsharing Südtirol, dem Ganzen einen Schubs zu geben, mit einem neuen Joint Venture: AlpsGo. Carsharing solle in Südtirol auf eine neue Ebene gehoben werden, hieß es bei der Vorstellung im August 2023. Die Flotte sollte auf E-Autos umgestellt und deutlich größer werden.
Im Februar 2024 wurde das Unternehmen dann operativ. Aus den ehemals 35 Verbrennerautos ist mittlerweile eine Flotte aus 61 E-Fahrzeugen geworden. Aber werden die Autos auch genutzt?
Derzeit nicht rentabel
Am 1. März zählte AlpsGo, Südtirols einziger Carsharing-Anbieter, 1.300 private Kundinnen und Kunden, dazu 120 Businesskunden. Das Unternehmen betreibt südtirolweit 25 Standorte. Alperia hält knapp ein Viertel der Anteile an AlpsGo, Carsharing Südtirol drei Viertel.
Konkret funktioniert das Ausleihen so: Wer ein Auto für eine bestimmte Zeit, beispielsweise ein paar Stunden, mieten möchte, registriert sich einmalig, bucht das Auto über die App, geht zum Parkplatz, entsperrt das Fahrzeug mittels App und fährt los. Registrierung, Reservierung und Bezahlung, alles läuft digital ab. Kostenpunkt: etwa sechs Euro die Stunde, dazu sind 28 Cent pro Kilometer und eine Monatsgebühr von 5,90 Euro fällig. Daneben gibt es ein weiteres Modell ohne Monatsgebühr, dafür mit höheren Stundentarifen.
Auslastung unterschiedlich
Die Auslastung der Fahrzeuge sei je nach Ort unterschiedlich, sagt Gebhard Platter, Projektleiter von AlpsGo. Während die Autos in Bozen, Brixen oder Bruneck fast durchgehend gebraucht würden, stünden sie in anderen Gemeinden einen Großteil der Zeit auf den Parkplätzen herum. Das sei mit ein Grund, weshalb AlpsGo derzeit nicht rentabel arbeite. „Im vergangenen Jahr waren wir einige Hunderttausend Euro im Minus“, so Platter.
Grund sei unter anderem auch, dass die Ladeinfrastruktur und das Leasing der Fahrzeuge teuer seien. „Wir sind nicht gewinnorientiert, aber unser Ziel ist es, langfristig rentabel zu arbeiten.“ Einfach sei das nicht, sagt Platter, denn das Carsharing-Business sei ein kompliziertes. Es brauche eine ausgeklügelte Software, um alles zu managen, eine moderne Lade- und Parkinfrastruktur, Fahrzeuge – und eine ehrliche Kundschaft. „Die Kunden müssen sich an die vereinbarten Rückgabezeiten halten, und wenn sie einen Schaden am Auto verursachen, müssen sie ihn melden“, sagt Gebhard Platter. „Das ist ein Business, bei dem man einen langen Atem braucht.“
„Vorher das Angebot schaffen, dann folgt die Nachfrage“
Helmuth Moroder stimmt dem zu. Er ist Verkehrsexperte und im Vorstand von AlpsGo. „Wenn man Carsharing einführt, dauert es eine gewisse Zeit, bis das Angebot angenommen wird“, sagt er. Vorher müsse das Angebot geschaffen werden, erst dann entstehe die Nachfrage. Auch seien die Autos nicht von Beginn an voll ausgelastet. Und zwar, weil das Angebot erst bekannt werden muss, und auch, weil viele Menschen ihre Mobilität lange anders organisiert haben und ein Auto besitzen. „Viele Familie haben beispielsweise zwei Autos. Unser Ziel muss es aber sein, dass sie kein zweites mehr kaufen, wenn eines kaputt oder alt wird“, so Moroder.
Auch müsse noch ein Wandel in den Köpfen stattfinden. „Viele wollen ein eigenes Auto besitzen und können sich nicht vorstellen, nur eines zu haben, wenn sie es brauchen. Die Vorteile von Carsharing sind vielen nicht bekannt.“
Neben der eingangs erwähnten Verkehrsentlastung sei ein Vorteil vor allem die finanzielle Ersparnis, sagt Gebhard Platter. Er rechnet vor: Ein Auto koste etwa 4.000 Euro pro Jahr und stehe im Schnitt 23 Stunden pro Tag in einer Garage bzw. auf einem Parkplatz. Eine Stunde Nutzung kostet laut dieser Rechnung elf Euro. „Wenn ich hingegen ein Auto leihe, kostet es mich weniger oder gleich viel, aber ich zahle nur, wenn ich es auch benutze.“
Unternehmen als Partner
Auch wenn Südtirol bislang eher zurückhaltend ist, was das Teilen von Autos anbelangt, zeigen sich Moroder und Platter überzeugt, dass sich dieses Mobilitätskonzept in den kommenden Jahren etablieren wird. Schon bis Ende des Jahres soll die AlpsGo-Flotte von 61 auf 100 Autos wachsen.
„In Unternehmen sehen wir großes Potenzial.“ Gebhard Platter
Erreicht werden soll dieses Ziel unter anderem mithilfe der Unternehmen. Die Formel lautet hier Corporate Carsharing: Unternehmen, Tourismusvereine oder Hotelbetriebe richten eine Carsharing-Station in ihrer Nähe ein und nutzen das Auto zu bestimmten Zeiten – etwa zu den Öffnungszeiten des Betriebes. Am Abend und am Wochenende steht das Auto allen zur Verfügung. Daneben gibt es Mischkonzepte. Platter nennt das Beispiel des Hotels Steineggerhof in Steinegg: Dieses hat einen Parkplatz direkt vor dem Hotel eingerichtet. Genutzt wird das Auto von Hotelmitarbeitenden, Gästen oder Einheimischen. Dabei gilt: First come, first serve. „In Unternehmen sehen wir großes Potenzial“, sagt Platter.
Die Gemeinden müssen mitspielen
Ein weiter wichtiger Player bei Carsharing ist die öffentliche Hand. „Das Land selbst kümmert sich um den öffentlichen Nahverkehr, Zusatzdienste wie Carsharing werden über externe Dienstleister angeboten“, sagt dazu Mobilitätslandesrat Daniel Alfreider. „Diese werden indirekt über die Gemeinden gefördert, damit das Netz wächst.“
Einige Gemeinden sind beim Carsharing bereits aktiv geworden und haben Stationen eingerichtet, andere sind gerade dabei, wie etwa Dorf Tirol und Kastelruth. Aber nicht alle Gemeinden sehen in Carsharing eine Option.
Laut Andreas Schatzer, dem Präsidenten des Gemeindenverbandes, befürchten kleine Gemeinden, dass das Angebot nicht angenommen wird und sie die Kosten tragen müssen. „Hier braucht es noch Sensibilisierung, Aufklärung und Unterstützung“, so Schatzer. Entscheidet sich eine Gemeinde dafür, Plätze zur Verfügung zu stellen, dann regelt AlpsGo organisatorische Fragen, etwa die Einrichtung von Ladesäulen. Wird ein Auto nicht genutzt, muss aber die Gemeinde die Kosten tragen, wenn sie als Vermieterin agiert. Die Zusatzkosten halten sich laut Platter aber in Grenzen. „Insbesondere, wenn die Gemeinde selbst, Unternehmen oder Tourismusvereine betriebliche Fahrten mit den E-Autos zurückzulegen.“
Was Platter positiv stimmt: Im Februar stimmte der Landtag einem Beschlussantrag der Grünen zu, mit dem die Landesregierung beauftragt wurde, zu prüfen, ob Beiträge für Carsharing eingeführt werden können. Damit könnte Carsharing für Gemeinden, Unternehmen und die Fahrer:innen günstiger werden. Und das Konzept, sagt Platter, könne dann so richtig Fahrt aufnehmen.