Bozen – Sonntag, 20. Oktober, Ausnahmezustand mitten in Bozen. 4.000 Anwohner müssen aus der sogenannten roten Zone evakuiert werden. In deren Zentrum entschärfen Experten eine amerikanische Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Seitdem die Bombe bei Bauarbeiten am 9. Oktober gefunden wurde, laufen die Vorbereitungen für diesen Tag auf Hochtouren. Der Zivilschutzalarm informiert die Bevölkerung schließlich über den Beginn der Entschärfung. 250 Kilogramm bringt der Sprengkörper auf die Waage. In einem so dicht besiedelten Gebiet würde sie einen immensen Schaden anrichten, sollte sie detonieren.
Mittwoch, 9. Oktober, die Bombe wird am Verdiplatz bei Bauarbeiten entdeckt. Der Fund an sich ist für Bozen kein Novum. Bereits zum fünften Mal durchläuft die Gemeinde Bozen das Procedere, sagt SVP-Stadtrat und Vizebürgermeister Luis Walcher. Neu ist allerdings der Fundort, denn der liegt zum ersten Mal nicht in einer isolierten Baustelle, sondern inmitten einer Hauptverkehrsachse der Landeshauptstadt. In der Folge müssen Umleitungen eingerichtet werden, Staus stehen auf der Tagesordnung. Um diesen Zustand schnellstmöglich wieder zu beenden, drängt die Gemeinde auf eine rasche Entschärfung. Für diese müssen allerdings Richtlinien der Nato eingehalten werden, erklärt Günther Walcher, Direktor des Landesamtes für Zivilschutz. So müssen Bomben zwingend bei Tageslicht entschärft und gewisse Zonen im Umkreis evakuiert werden. Für den Sonntag spricht, dass an diesem Tag kein Lastkraftwagenverkehr unterwegs ist und auch weniger Geschäfte und Gastbetriebe schließen müssen als an einem anderen Tag.
Um den Evakuierungsradius zu minimieren, entscheidet sich die Einsatzleitung dafür, einen Schutzdamm aus Erde rund um die Fundstelle zu errichten. Mit LKW wird der dafür nötige Sand nach Bozen gebracht. Die Kosten dafür trägt das italienische Heer.
Kaum Kosten für die Gemeinde Bozen
„Allerdings hat die Gemeinde beschlossen, zusätzliche LKW einzusetzen“, sagt Vizebürgermeister Walcher. Allein mit jenen des Heeres würde sich die Entschärfung um eine weitere Woche verzögern. Kostenpunkt: 10.000 bis 12.000 Euro. Außerdem wird für 500 Euro ein Auto aus Deutschland angemietet, das mit Lautsprechern ausgestattet ist. Dieses zirkuliert am Tag der Entschärfung durch die Straßen der roten Zone, um eventuell in den Häusern zurückgebliebene Personen auf die Evakuierung aufmerksam zu machen.
„Das sind die einzigen Kosten, für die die Gemeinde aufkommt“, so Walcher. Alle weiteren Spesen würden das Heer bzw. die beteiligten Organisationen tragen. 24 bildeten die Einsatzleitung, darunter das Regierungskommissariat, der Bevölkerungsschutz, die Carabinieri und das Rote Kreuz. Sie mussten ihre Dienstpläne so anpassen, dass am Sonntag genügend Personal zur Verfügung stand. Insgesamt waren mehr als 600 Personen und über 200 Fahrzeuge im Einsatz.
Ob und wie viel die Waltherpark AG als Baustellenbetreiber bezahlen muss, ist hingegen unklar. „Wir stehen in kontinuierlichem Austausch mit der Gemeinde“, sagt deren gesetzlicher Vertreter Heinz Peter Hager. „Oberste Priorität war die rasche Entschärfung und Öffnung der Straße für den Verkehr.“
Menschenleerer Waltherplatz
Indirekte Kosten seien der Waltherpark AG durch die Bauverzögerung entstanden. Und auch andere Unternehmen, Geschäfte und Gaststätten mussten Einbußen durch die Evakuierung und die damit einhergehende Schließung hinnehmen. In der roten Zone, also in einem Umkreis von 500 Metern vom Fundort, dauerte diese von 6.30 Uhr bis 8.30 Uhr. Um 8.45 Uhr wurde der Strom abgestellt. Im Umkreis von 1.830 Metern, der sogenannten gelben Zone, mussten die Anwohnerinnen in ihren Wohnungen bleiben. So kam es, dass normalerweise stark frequentierte Orte wie der Waltherplatz am Sonntagvormittag menschenleer blieben. Erst am Nachmittag öffneten die Bars und Geschäfte in der Gegend. Auch das Einkaufszentrum Twenty blieb bis 13 Uhr geschlossen. Auf einen Schadenersatz dürfen die Unternehmerinnen allerdings nicht hoffen. Ein Bombenfund und die damit einhergehenden Maßnahmen gelten als höhere Gewalt, etwaige Ausfälle werden deshalb nicht kompensiert.
Geschlossen blieben neben den Geschäften und Gaststätten auch Sportanlagen und Kultureinrichtungen. Der Bozner Stadtlauf „City Trail“ musste aus diesem Grund um einen Tag vorverlegt werden. Dessen Initiator, das Bozner Verkehrsamt, schloss am Sonntag ebenfalls seine Tore, kümmerte sich jedoch im Vorfeld um ein Programm für jene Touristen, die von der Evakuierung betroffen waren. Zur Auswahl standen ursprünglich zwei Ausflüge: eine Dolomitenrundfahrt und eine Herbstwanderung über den Salten. Aufgrund der Witterung wurde die Wanderung abgesagt. Deshalb nahmen alle 45 angemeldeten Personen an der Rundfahrt teil. Die Kosten für Bus und Führung in Höhe von rund 600 Euro übernahm das Verkehrsamt Bozen. Weitere Kosten seien keine entstanden, teilte das Verkehrsamt auf Nachfrage mit.
Wer zahlt, wenn die Bombe auf einem privaten Grundstück liegt?
Die Entschärfung ging reibungslos über die Bühne. Eine große Unbekannte bleibt jedoch: Wie viele Bomben liegen noch im Untergrund verborgen? Eine Frage, auf die keiner eine Antwort weiß. Der Bozner Bahnhof war als Verkehrsknotenpunkt ein beliebtes Ziel der Alliierten. In seiner Nähe finden sich deshalb immer wieder nicht explodierte Sprengkörper, so etwa 2008 bei den Bauarbeiten für die Talstation der Rittner Seilbahn. Aber auch private Bauherren waren bereits betroffen, zum Beispiel die Südtiroler Volksbank. 2013 beim Bau des neuen Hauptsitzes in der Schlachthofstraße kam ein Bombenteil zum Vorschein. In Deutschland müssen in solchen Fällen die Grundstücksbesitzer für Suche, Freilegung und Erdarbeiten aufkommen. Bergung, Entschärfung und Abtransport übernimmt dort der Staat. In Italien müssen die Privaten hingegen nichts bezahlen. Das bestätigt die Südtiroler Volksbank. Der Bau sei zwar für etwa eine Woche unterbrochen gewesen, doch nach einem Lokalaugenschein hätten die Ordnungskräfte alle Maßnahmen zügig in die Wege geleitet.
„Die Bombe vom Verdiplatz wird nicht die letzte gewesen sein.“
Luis Walcher, Vizebürgermeister Bozen
Nach 2008 und 2013 war die Bombe am Verdiplatz also die dritte in direkter Nähe zum Bahnhof. Was bei der geplanten Neugestaltung desselben zum Vorschein kommt, wird sich erst zeigen. Luis Walcher ist sich sicher: „Die Bombe vom Verdiplatz wird nicht die letzte gewesen sein.“