St. Leonhard/Bozen/Eppan – Den eigenen Weg reflektieren, neue Kulturen kennenlernen, Abstand zum stressigen Alltag: Die Gründe für eine berufliche Auszeit sind vielfältig. Immer mehr Menschen wagen den Schritt – auch in Südtirol. Drei von ihnen erzählen über ihre Beweggründe, was sie erlebt haben – und wie es war, wieder zurückzukehren.

Simon Pabst: „Reisen kann knallharter Alltag werden“
Simon Pabst, Softwareentwickler aus St. Leonhard in Passeier, hatte gemeinsam mit seiner Frau Samantha Taschler eine längere Auszeit ab 2020 geplant. „Wir wollten die Natur in anderen Ländern entdecken, schauen, ob wir vielleicht mehr Abenteuer und weniger Verplantheit im Alltag brauchen – und unsere körperlichen und mentalen Grenzen austesten“, erklärt der 32-Jährige die Beweggründe. Das sollte unter anderem auf dem „Pacific Crest Trail“ passieren, einem mehr als 4.000 Kilometer langen Wanderweg an der US-Westküste.
Sowohl Pabst als auch seine Frau hatten ihre Arbeit schon gekündigt, als die Pandemie ihnen einen Strich durch die Rechnung machte. „Wir suchten uns beide neue Jobs und waren dort sehr glücklich. Uns war klar, wenn wir nicht bald wegkommen, dann wahrscheinlich gar nicht mehr“, blickt Simon Pabst zurück. Ein unbezahlter Wartestand kam für beide nicht infrage, da sie kein fixes Rückkehrdatum definieren wollten. Deshalb kündigten sie erneut – gingen mit dem jeweiligen Arbeitgeber aber „sehr positiv“ auseinander. Bis zur Abreise verblieben zwei Monate, in denen Pabst als „Room Boy“ Hotelzimmer putzte.
2023 begann das Abenteuer. Zwei Monate wanderten Pabst und Taschler je 30 bis 40 Kilometer am Tag entlang des „Pacific Crest Trail“ von der kanadischen Grenze in Richtung Kalifornien. „Es war extrem anstrengend. Jeden Morgen aufstehen, Wasser filtern, Essen vorbereiten, planen, welchen Weg man nimmt, wo man das nächste Essen kaufen kann. So kann Reisen knallharter Alltag werden. Mit der Zeit wird es auch eintönig, da hat man vielleicht vorher ein romantisiertes Bild im Kopf.“ Die Erfahrung möchte er dennoch nicht missen.
„Die Auszeit hat ganz viel Unzufriedenheit genommen. Hier hatte man oft das Gefühl, noch mehr sehen, tun und erleben zu müssen. Man lernt zu schätzen, wie schön unsere Natur ist und wie gut wir versuchen, sie zu schützen.“

Im Anschluss reiste das Paar nach Mexiko, Guatemala und Belize, dann durch Südamerika. „Dort waren wir als klassische Touristen unterwegs“, sagt Pabst. Unter anderem bestiegen sie in dieser Zeit zwei Sechstausender. Auf der nächsten Etappe schlüpften sie in die Rolle der Radfahrer. Vom nördlichsten Punkt der Nordinsel Neuseelands bis zum südlichsten Punkt der Südinsel traten sie in die Pedale. Den Abschluss bildeten Singapur, Hongkong und die Ostküste Chinas. „China war eines unserer Highlights. Alles ist anders, angefangen beim Frühstück.“
Nach zehn Monaten war die Weltreise zu Ende. Einen Monat verbrachte das Paar zu Hause, einen in Frankreich beim Klettern. Dann hieß es: zurück zur Arbeit. Nach mehreren Vorstellungsgesprächen entschieden sich beide für ihren alten Arbeitgeber. Was bleibt von der Auszeit? „Sie hat ganz viel Unzufriedenheit genommen. Hier hatte man oft das Gefühl, noch mehr sehen, tun und erleben zu müssen. Man lernt zu schätzen, wie schön unsere Natur ist und wie gut wir versuchen, sie zu schützen.“ Komplett verflogen sei die Angst davor, keine Arbeit mehr zu finden – und davor, zu Hause etwas zu verpassen. Erneut für so lange Zeit möchte das Paar nicht weg, lieber öfter für ein oder zwei Monate am Stück. „Das Erlebnis wird schöner, wenn man sich auf ein Land oder ein Vorhaben konzentriert. Das Reisen verliert sonst das Magische. Die Abwechslung zwischen Beruf und Auszeit ist das, was es ausmacht“, sagt Pabst.

Alexa Falk: „Zeitqualität gefunden, die ich gesucht hatte“
Alexa Falk, Jahrgang 1969 und aus Pfalzen, lebte und arbeitete in München, bevor sie Leiterin der Abteilung „Unternehmenskommunikation und Marketing“ bei der Volksbank in Bozen wurde. Obwohl sie große Freude daran hatte, begann sie, an einem bestimmten Punkt zu zweifeln. Als selbsterklärter Workaholic arbeitete Falk auch schon mal zwölf oder mehr Stunden am Tag. Rund zweieinhalb Stunden saß sie zudem täglich im Auto, um zwischen dem Pustertal und Bozen zu pendeln. „Es drehte sich also viel um das Thema ‚Zeit‘ und ich fragte mich: Wie stellst du dir dein restliches Leben vor, solange du dynamisch bist? Wie willst du deine Zeit verbringen?“ Falk nahm all ihren Mut zusammen und sprach mit ihrem Vorgesetzten. „Er hat toll reagiert und gemeinsam haben wir reflektiert. Ich kam dann zum Schluss, eine Auszeit zu nehmen, sei für mich das Beste“, sagt Falk. Das Unternehmen bot ihr verschiedene Modelle an. Doch Falk entschied sich am Ende für die Kündigung. „Ich wollte raus aus den Schemata, die unser Denken prägen, raus aus allen Rollen, denen wir entsprechen. Sie konstituieren die Freiheit unseres Denkens. Und ich wollte totale Freiheit.“ Ist ihr dieses Aussteigen geglückt? „Es ging sogar weiter als gedacht“, zeigt Falk sich erfreut.
„Ich habe zwar dieselbe DNA, aber meine Wahrnehmung über die Außenwelt und mich hat sich im vergangenen Jahr gewandelt. Ich bin außerdem entspannter zurückgekehrt und hoffe, dass das nicht gleich wieder verfliegt.“

Ende 2023 startete sie gemeinsam mit ihrem Ehemann nach Mexiko. Auch ihm gewährte sein Arbeitgeber, ein indischer IT-Riese, eine zweimonatige Auszeit. Richtung Westen reisend umrundete das Ehepaar einmal die Welt mit Stopps in Australien, Neuseeland, Singapur und Bali. „Dabei habe ich mich jeden Tag ertappt, dass ich immer noch ‚biases‘, also systematische Fehleinschätzungen, über andere Kulturen, Religionen und Wirtschaftsformen in mir trage. Das hat mich überrascht und zugleich ermutigt, daran zu arbeiten.“ Nach den zwei Monaten rund um den Erdball richtete Falk sich wieder zu Hause ein und brach von dort aus mehrmals zu etwas kürzeren, aber nicht minder intensiven Reisen auf. „Ich habe unter anderem die Abruzzen und Kalabrien erforscht“, sagt Falk mit Betonung auf das Erforschen. „Es haben sich neue Tiefen gezeigt. Es war schön, diese Reisen nicht nur an der Oberfläche zu konsumieren.“ Wenn sie mal nicht unterwegs war, belegte Falk Workshops und Seminare, um sich weiterzubilden.
In ihrem Kopf zeichnete sich schließlich ab, dass mit Dezember 2024 nach einer Reise in den Oman auch ihr „Ausnahmejahr“, wie sie es nennt, ein Ende finden sollte. Ein Stück der erlebten Selbstbestimmtheit wollte sie mitnehmen – und beschloss daher, sich als Beraterin selbstständig zu machen.
Diese neue Herausforderung tritt sie verändert an. „Ich habe zwar dieselbe DNA, aber meine Wahrnehmung über die Außenwelt und mich hat sich im vergangenen Jahr gewandelt. Ich bin außerdem entspannter zurückgekehrt und hoffe, dass das nicht gleich wieder verfliegt“, schmunzelt Falk. Die Selbstständigkeit bringe mehr Verantwortung und ein höheres Risiko mit sich, zugleich „mehr Souveränität über Raum und Zeit“. Einen Monat pro Jahr möchte sie versuchen, sich freizuhalten. Von ihrer Reise habe sie nämlich eines mitgenommen: „Ich habe jene Zeitqualität gefunden, die ich gesucht hatte.“

Simon Lemayr: „Es lässt sich viel bewegen“
Simon Lemayr, Jahrgang 1996 und aus Eppan, hat zwei Arbeitgeber: Er arbeitet zu 50 Prozent als Lehrer an der Fachschule Laimburg, zu 50 Prozent als Berater bei Bioland Südtirol. Schon länger hatte er mit dem Gedanken gespielt, an einem gemeinnützigen Projekt im Ausland mitzuarbeiten. Im Schuljahr 2023/2024 bot sich die ideale Gelegenheit dafür. Normalerweise unterrichtet Lemayr die vierte Klasse der Fachrichtung Lebensmitteltechnologie. Da es in besagtem Schuljahr keine solche gab und er bei Bioland bereits bei seiner Einstellung besprochen hatte, irgendwann eine Auszeit nehmen zu wollen, stand der Umsetzung nichts mehr im Weg. Bei beiden Arbeitgebern trat Lemayr in den unbezahlten Wartestand, um nach Ostafrika zu reisen.
„Ich habe mich für ein landwirtschaftliches Projekt in Uganda entschieden, das eine solide Basis und viele Entwicklungsmöglichkeiten aufwies“, erklärt Lemayr. An der Grenze zum Südsudan verbrachte der Eppaner fünf Monate in der Flüchtlingssiedlung Palorinya, mit rund 130.000 Menschen die zweitgrößte des Landes. Das St.-Martin-Projekt betreibt dort verschiedene Werkstätten, in denen gearbeitet und ausgebildet wird. „Es gibt etwa eine Schlosserei, Bäckerei, Tischlerei – und eben einen landwirtschaftlichen Betrieb“, erklärt Lemayr.
„Man lernt die Leute um sich herum wirklich gut kennen. An 6,5 Tagen die Woche wird gearbeitet, außerdem gibt es keinen TV. Das heißt, man ‚ratscht‘ praktisch immer. Und: Jeder hat genau eine Aufgabe am Tag, die er erledigt – fertig.“

Dort lag der Fokus darauf, landwirtschaftliche Kenntnisse zu vermitteln, um die Teilnehmenden zu befähigen, ihre eigene kleine Farm zu gründen und ihre Familie zu ernähren. Zwei der größten Herausforderungen: die Bewässerung der Pflanzen und die Produktion von Gemüsesetzlingen. „Wir konnten wirklich etwas aufbauen“, blickt Lemayr zurück. „Man kommt in eine Art Fieber hinein, weil sich so viel bewegen lässt.“ Bereits in Südtirol hatte er begonnen, Kontakte in Uganda zu knüpfen, sich zu informieren, was er umsetzen könnte, und Geld zu sammeln. „Wir haben es dann unter anderem geschafft, eine Baumschule zu gründen. Die Regen- und Trockenzeit in Uganda wird immer unsicherer. Die Aussaat wird daher öfter zerstört. Bäume sind da resistenter.“ Die Wahl fiel auf den Meerrettichbaum, „Moringa olifera“ (siehe Foto), der besonders reich an Nährstoffen ist – ideal für Menschen, die an Mangelernährung leiden.
Die gesamte Erfahrung sei sehr prägend für ihn gewesen, sagt Simon Lemayr, allein wegen der extremen Armut, die ihn umgab, aber nicht nur. „Man lernt die Leute um sich herum wirklich gut kennen. An 6,5 Tagen die Woche wird gearbeitet, außerdem gibt es keinen TV. Das heißt, man ‚ratscht‘ praktisch immer. Und: Jeder hat genau eine Aufgabe am Tag, die er erledigt – fertig.“
Zurück in Südtirol habe er versucht, sich die Zufriedenheit beizubehalten und seine Woche weniger vollzupacken. „Leider war es mit dem Vorsatz nach einem Monat vorbei. Wir haben ein ganz anderes Leben hier mit unendlichen Auswahlmöglichkeiten, allein schon in der Freizeit. In Uganda gibt es vielleicht mal eine Messe in der Kirche.“ Immerhin lasse er sich weniger stressen. „Wenn früher etwas nicht ganz perfekt war, bin ich nervös geworden“, sagt Lemayr. Ob er noch mal in dem Projekt mitarbeiten würde? „Sofort“, sagt der Eppaner und lacht.
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: „Ene, mene, muh und raus … bin ich!“
















