Bozen – Als die SWZ im März 2023 zum letzten Mal den Stand der Dinge am Bahnhofsareal Bozen beleuchtete, sagte der damalige Vizebürgermeister von Bozen, Luis Walcher: „Mit dem Bahnhofsareal wird es jetzt wohl schneller vorangehen, als der eine oder andere erwartet.“ Es war ein Zeitpunkt, an dem zum wiederholten Male Euphorie aufkam, die aber alsbald wieder gedämpft wurde.
Schon 2019 hatte Landeshauptmann Arno Kompatscher nach Projektfortschritten rund um die Neugestaltung des riesigen, weitgehend ungenutzten Areals angekündigt: „Der Zug ist nun abgefahren und niemand hält ihn mehr auf.“ Tatsache ist aber: Am Areal ist bis heute nichts passiert und wird es auch in absehbarer Zeit nicht tun.
Das Projekt für die Neugestaltung nahm im fernen Jahr 2006 seinen Anfang. Damals unterzeichneten die Vertragspartner ein entsprechendes Abkommen: Land, Gemeinde Bozen sowie die staatlichen Bahngesellschaften RFI, Trenitalia und FS Sistemi Urbani.
Dabei bietet es für die Stadt ein enormes Potenzial, etwa für öffentliche, betriebliche und kulturelle Strukturen, ganz besonders aber für den Wohnungsbau. So gäbe es Platz für mehr als 1.500 Wohnungen. Insgesamt können nordöstlich und südöstlich des Bahnhofs 48 Hektar Fläche neu verbaut werden.
Was bisher geschah
Das Projekt für die Neugestaltung nahm im fernen Jahr 2006 seinen Anfang. Damals unterzeichneten die Vertragspartner ein entsprechendes Abkommen: Land, Gemeinde Bozen sowie die staatlichen Bahngesellschaften RFI, Trenitalia und FS Sistemi Urbani. 2011 wurde der sogenannte Masterplan mit den Details genehmigt, basierend auf dem Projekt eines Teams um Stararchitekt Boris Podrecca. Es folgten weitere Planungen und Studien. Allerdings gerieten die Verhandlungen über die Art und Weise der Projektumsetzung ins Stocken.
Im Sommer 2019 kam es schließlich zu einer Einigung auf ein Programmabkommen. Demnach wird die Realisierung des neuen Bahnhofsareals als Ganzes europaweit ausgeschrieben. Das heißt: Der siegreiche Investor muss den neuen Bahnhof bauen, die Bahngleise in den Süden in Richtung Kampiller Brücke verlegen und verschiedenste öffentliche Strukturen errichten – darunter Straßen, Grünanlagen, einen unterirdischen Busbahnhof, ein Hallenbad, ein Kulturzentrum und Gebäude für öffentliche Dienste. Im Gegenzug kann der Investor auf dem restlichen Gelände Wohnungen und Büros errichten und am Markt veräußern. Der öffentlichen Hand soll das Großprojekt damit am Ende nichts kosten.
Nach der Ausschreibung sollten – so der Zeitplan – Ende 2020 die Auftragszuschläge erfolgen und innerhalb 2021 die Umsetzung beginnen. Doch dazu kam es nicht.
Zurück auf Los
Anfang 2020 wurde ein Markttest durchgeführt, um mit interessierten Betrieben und Investoren in Kontakt zu treten und deren Meinungen anzuhören. Dann ging plötzlich nichts mehr weiter. Das hatte verschiedene Gründe: der Ausbruch der Coronapandemie, der Wunsch interessierter Investoren nach mehr Flexibilität, die komplexe Ausschreibungsvorbereitung, personelle Veränderungen in den Entscheidungsgremien und neuerliche Diskussionen über die Projektdetails.
„Im Frühjahr 2024 soll der genaue Zeitplan feststehen“, hieß es im Jahr 2023.
Einige Jahre später fassten die Projektpartner eine neue Strategie ins Auge: Das Projekt soll nicht als Ganzes ausgeschrieben und einem einzigen Investor überlassen werden, sondern schrittweise in Eigenregie umgesetzt werden. Soll heißen: Die Staatsbahnen bauen den neuen Bahnhof und die dazugehörigen Bahninfrastrukturen selbst und verkaufen die frei werdenden Flächen ans Land. Dieses soll sich dann gemeinsam mit der Gemeinde Bozen um die städtebauliche Entwicklung kümmern. Zu bebauende Flächen sollen stückweise an private Investoren weiterverkauft werden.
Im Sommer 2023 einigten sich die Projektpartner auf diese Strategie. „Die eingerichtete Arbeitsgruppe wird nun die technischen, wirtschaftlichen und vertraglichen Unterlagen erarbeiten, um die neu vereinbarte Vorgehensweise umzusetzen“, erklärte das Land damals. Und Vizebürgermeister Luis Walcher kündigte an: „Im Frühjahr 2024 soll der genaue Zeitplan feststehen.“
Seither ist es aber wieder völlig ruhig geworden um die Zukunft des Bozner Bahnhofsareals. Der Öffentlichkeit wurde weder ein Zeitplan noch eine andere Neuigkeit bekannt gegeben. Was ist los mit dem Milliardenprojekt?
Zwei Arbeitsschienen
Auch hinter den Kulissen ist nicht allzu viel passiert – zumindest nichts, was eine Notiz für die Öffentlichkeit wert gewesen wäre. „Es gibt derzeit zwei Arbeitsschienen: eine rechtliche und eine planerisch-finanzielle“, sagt Joachim Dejaco, Generaldirektor der Landesgesellschaft Südtiroler Transportstrukturen AG (Sta) und Koordinator des Großprojektes im Auftrag des Landes.
In rechtlicher Hinsicht arbeite man mit den Projektpartnern angesichts der neuen Strategie an entsprechend neuen Verträgen. „Das ist eine komplexe Geschichte und bedarf vieler Gespräche, damit die Vereinbarungen wasserdicht und für alle Seiten befriedigend sind“, so Dejaco. Es gehe um Fragen wie: Was geht wann an wen über? Wer baut was? Wer bezahlt was? „Beim unterirdischen Busbahnhof etwa“, macht Dejaco ein Beispiel, „stellt sich die Frage, ob er von Landesinteresse ist oder von Interesse des Bahnbetreibers. Eine Abgrenzung ist schwierig. Und falls er rein von Landesinteresse ist: Wer ist für den Bau zuständig, wenn die Schienen darüber verlaufen?“
Was die effektive Planung betrifft, so sei dank neuer Förderrichtlinien eine EU-Mitfinanzierung in Höhe mehrerer Millionen Euro in Aussicht: „Mit diesem Geld kann die Planung des neuen Bahnhofs starten. Wir rechnen in einigen Monaten mit der Zusage aus Brüssel.“
Kein Zeitplan, keine Finanzierung
Einen konkreten Zeitplan gibt es also noch nicht. Allein schon der Start der Bahnhofsplanung hängt davon ab, ob und wann die EU-Fördergelder ankommen. Zudem sind allerhand rechtliche und vertragliche Aspekte zu klären.
Auch ist zu betonen: Der Neubau des Bozner Bahnhofs und der entsprechenden Infrastrukturen (wie die neuen Gleise und der neue Standort der Zugremisen bei der Kampiller Brücke) muss der erste Projektschritt sein. Erst danach kann die Übergabe der restlichen Flächen ans Land erfolgen. „Vorher können die Flächen nicht genutzt werden, denn für den Bau des neuen Bahnhofs braucht es sie zur Ablage von Schienenschwellen, Schotter und anderem Material. Das heißt: erst die neue Bahntrasse bauen, dann die alte auflassen und die freien Flächen verwerten“, erklärt Joachim Dejaco.
Selbst wenn bald die rechtlichen Aspekte geklärt sind und die Planung gestartet ist, steht der effektive Baubeginn in den Sternen. Denn die Finanzierung des neuen Bahnhofs über die Planung hinaus ist derzeit nicht gesichert. Es kommt auf den guten Willen des Staates bzw. seiner Bahngesellschaften an, wie hoch das Bozner Projekt priorisiert wird. Das Geld ist in Italien bekanntlich sehr begrenzt, falls nicht gerade großzügige EU-Förderprogramme laufen.
Wie teuer der Neubau des Bahnhofs und der dazugehörigen Infrastrukturen wird, ist ebenfalls noch völlig unklar. Vor mehreren Jahren war von 200 bis 300 Millionen Euro die Rede. Seither gab es jedoch eine hohe Inflation und teils explodierte Baupreise, sodass es sicherlich weit mehr ausmachen wird.
Eines scheint klar: In den nächsten Jahren wird am riesigen Bahnhofsareal nicht viel passieren. Die Schaffung eines neuen Stadtviertels ist weiter entfernt als noch vor sechs Jahren, als ein Baubeginn innerhalb von zwei Jahren möglich schien.