St. Lorenzen – Es gibt Gründungsgeschichten, die folgen einer klassischen Start-up-Dramaturgie – Businessplan, Investoren, Skalierung. Und es gibt Gründungen wie die von Verena Mittelberger: organisch, persönlich und im besten Sinne menschlich. „Ich bin keine klassische Unternehmerin“, sagt sie fast entschuldigend und lacht. Denn im eigentlichen Leben ist Verena Sozialpädagogin. Die zierliche 33-Jährige wirkt aufmerksam, selbstsicher und nebenbei gerne ein wenig unkonventionell. Ihre Gründungsgeschichte basiert auf einer Idee, die aus einem ganz persönlichen Schmerz entstand. Und mit einer Frage, die so einfach klingt – und doch einen ganzen Markt aufrütteln könnte: Warum gibt es eigentlich keine unkomplizierte, pflanzliche Hilfe gegen Periodenbeschwerden, die akut wirkt – und dabei nicht nach Medizin schmeckt?
Vom Bauchgefühl zur Geschäftsidee
Verena war zwölf, als die Krämpfe anfingen. „Ich bin damals vor Schmerzen in der Schule regelmäßig umgekippt“, erzählt sie. Viele Jahre lang nahm sie die Pille – nicht aus Überzeugung, sondern weil sie funktionierte, ihr die Schmerzen nahm. Irgendwann wollte sie raus aus dem Hormon-Karussell, zurück zu einem Körper, der wieder selbst steuern darf. Doch mit der Entscheidung kam auch der Schmerz zurück. Und die altbekannten Optionen: Hormone – oder Schmerzmittel. „Ich wollte beides nicht mehr. Ich wollte meinem Körper nicht mehr wehtun“, sagt Verena.
„Wenn du etwas suchst und es nicht findest – dann musst du es eben selbst machen.“ Verena Mittelberger
Was dann geschah, klingt wie ein Kapitel aus einem modernen Kräutermärchen: Verena begann zu recherchieren. Las alte Frauenheilkunde, sprach mit Kräuterfachfrauen, Gynäkologinnen, Apothekerinnen. Und sie stieß auf Klassiker wie Frauenmantel, Schafgarbe, Kamille – alles Heilpflanzen mit langer Tradition. „Die Kräuter gab es – aber nicht in einer Form, die in meinen Alltag passte“, sagt Verena. „Entweder waren es Tropfen auf Alkoholbasis, bittere Tees, die man literweise trinken musste, oder Monatskuren. Ich hab’s versucht – aber das war alles nichts für mich. Und nichts hat akut geholfen.“
Experimente im Homeoffice
Also experimentierte sie selbst, in ihrer Küche. Mit stark eingekochten Tees und Kräutern, mal in Gummibärchen-, mal in Bonbonform. „Mal hat’s geklappt, mal nicht“, erinnert Verena sich. Aber das, was sie entwickelte, schien zu helfen. Zuerst ihr, dann Freundinnen. „Ich habe das Produkt für meine eigenen Krämpfe entwickelt – und dann gemerkt, wie vielen Frauen es hilft.“ Plötzlich wollten alle „Vemis“ Kräuterbonbons. Vemi ist Verena Mittelbergers Spitzname. Der Gedanke wuchs: Vielleicht braucht es das wirklich. Vielleicht nicht nur für sie.
„Ich habe das Produkt für meine eigenen Krämpfe entwickelt – und dann gemerkt, wie vielen Frauen es hilft.“ Verena Mittelberger
Doch wie wird aus einem „Do it yourself“-Projekt ein professionelles Produkt? Für Verena war klar: nicht auf Kosten ihrer Werte. „Ich wollte kein Produkt auf den Markt bringen, das ich selbst nicht nehmen würde.“ Also begann sie – wieder – zu lernen. Über Wirkstofffreisetzung, über Hygieneanforderungen, über Herstellung und Vertrieb.

Erst Küchentisch, dann Apotheke
So entstand vemi.fem: eine Lutschtablette mit Kräutern, die sanft, pflanzlich, veganfreundlich, gluten- und laktosefrei ist. Frauenmantel, Schafgarbe, Kamille – gebündelt in einer kleinen Tablette, die schmeckt wie ein Zitronen-Melisse-Bonbon. „Ich wollte ein Produkt, das so einfach ist wie eine Schmerztablette – aber auf Kräuterbasis“, sagt Verena. Eine Tablette, die in der Tasche verschwindet, im Alltag nicht auffällt – aber hilft.
Seit dem offiziellen Marktstart am 8. März 2024 – symbolisch am internationalen Frauentag – ist viel passiert. Vemi.fem ist mittlerweile in rund 140 Apotheken in Österreich gelistet, in Südtirol wächst der Vertrieb gerade. Auch online läuft der Verkauf gut. Mehr als 3.500 Kundinnen hat Verena bereits über ihren Webshop erreicht – viele davon sind Wiederholungskäuferinnen.
Produziert wird die Lutschtablette nach Verenas Rezept in Turin, die Kräuter stammen ausschließlich aus der EU. Biozertifiziert sind sie nicht. „Das war in der Menge leider nicht möglich“, sagt sie, „aber die Qualität stimmt. Eigentlich sollte es ein Gummibärchen werden, aber das hat in der Produktion nicht geklappt“, lacht Verena. Eine Packung enthält 21 Lutschtabletten und kostet 16,90 Euro – ein Vorrat, der meist für mehrere Perioden reicht.
Kein Exit-Denken, sondern ein Herzensprojekt
Verena ist keine Gründerin im Silicon-Valley-Stil. Kein Streben nach Millionen-Investments, kein Exit-Denken. Ihr Unternehmen ist ein Einzelbetrieb – sie lagert Aufgaben wie Buchhaltung, Marketing oder Logistik gezielt aus, an Menschen, denen sie vertraut. Um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können: Produktqualität und Kundinnenkontakt. Verena spricht oft von „wir“, obwohl vemi.fem ein Einzelunternehmen ist. „Ich habe zwei ganz enge Menschen, die mir unglaublich viel helfen“, sagt sie. „Da fühlt es sich manchmal einfach wie ein ‚Wir‘ an. Außerdem erfahre ich in meinem Umfeld sehr viel Unterstützung.“
„Am Anfang habe ich jede Packung selbst abgefüllt und verschickt – das ging schnell nicht mehr.“ Verena Mittelberger
Und: Sie will sich treu bleiben. „Ich komme aus dem sozialen Bereich, das prägt mich“, sagt Verena. Ihre unternehmerische Haltung: kein Druck von außen, kein Fremdkapital. „Ich hatte kein Startkapital von Investoren. Nur mein Erspartes – und die Unterstützung meiner Freunde und Familie“, so die Unternehmerin. „Am Anfang habe ich noch jede Packung selbst abgefüllt und verschickt – das ging schnell nicht mehr.“
Auch das Design der Packung hat sie selbst gestaltet: kräftiges Beerenpink außen, klare Typografie, wiederverschließbar, nachhaltig und praktisch. „Ich habe alles so gemacht, wie es mir gefällt: vom Geschmack bis zur Farbe der Verpackung.“
Eine Superkraft

Was Verena antreibt, ist mehr als wirtschaftlicher Erfolg. Es ist eine Haltung. Eine Sicht auf den weiblichen Körper, die nicht von Scham oder Pathologisierung geprägt ist, sondern von Neugier, Respekt – und ein bisschen Stolz. „Ich finde, die Periode sollte nicht als Schwäche gesehen werden, sondern als Superpower.
Deshalb spricht sie darüber. Überall. Mit Jugendlichen, mit Männern, mit alten Menschen. Auf Social Media, bei Events, in Apotheken. „Ich rede mittlerweile mit jedem über die Periode – immer und überall“, lacht sie. Selbst das T-Shirt, das sie beim Interview trägt, zeigt die Mondphasen: ein Symbol für den Zyklus, den Wandel, das Wiederkehren.
Vemi.fem ist für Verena kein Endpunkt, sondern ein Anfang. Ideen hat sie viele: Produkte für verschiedene Zyklusphasen, vielleicht auch ein edukatives Format. Doch alles in ihrem Tempo. Schritt für Schritt. Was bleibt, ist ihre Grundmotivation: Frauen andere Wege aufzeigen. „Jede Frau sollte die Wahl haben – und Alternativen zur klassischen Medizin kennen“, sagt die 33-Jährige.
Leben kann sie von ihrem Start-up noch nicht, aber es trägt sich – und das reicht erst mal. Denn Verena will sich treu bleiben. Kein „höher, schneller, weiter“ um jeden Preis. Kein Aufblasen des Unternehmens um der Skalierung willen. Sondern organisches, sinnvolles Wachstum. „Ich freue mich über jede Apotheke, jede Bestellung. Aber was mich wirklich berührt, sind die Rückmeldungen. Wenn eine Kundin sagt: ‚Ich habe mich zum ersten Mal nicht ausgeliefert gefühlt‘, dann weiß ich, warum ich das mache.“
DIE SERIE In diesen Wochen stellt die SWZ junge Unternehmen und deren Gründer:innen vor, so wie bereits in den vergangenen Jahren. Alle Artikel, auch jene der vergangenen Jahre, können auf SWZonline und in der SWZapp nachgelesen werden.
















