Ich gehöre zu jenen Menschen, die im Urlaub gerne verreisen, verreisen nicht in dem Sinne, dass es für 14 Tage nach Kreta oder ans Rote Meer geht, um dort Strandurlaub mit zwei oder drei Ausflügen zu verbringen (auch das ist ein berechtigtes Bedürfnis), sondern verreisen in dem Sinne, dass ich ein Land besuche, um es und seine Bewohner kennenzulernen, um einzutauchen in Lebensart, Esskultur, Geschichte und Traditionen. Von solchen Reisen kann ich lange (vielleicht lebenslang) zehren, während die Wirkung von Erholungsurlauben zwar angenehm ist, aber rasch verpufft. Da halt ich es ganz mit Christoph Engl, der beim jüngsten SMG-Forum (siehe SWZ vom 15. Juni) gesagt hat: „Nachhaltiges Urlauben hat damit zu tun, dass nach den fünf oder zehn Tagen der Auszeit etwas übrig bleiben muss“, etwas, von dem man „zehren“ kann. Auch er verwendet in diesem Zusammenhang mein Lieblingsverb.
Auszeit, das war für mich häufig gleichbedeutend mit „verreisen“ oder zumindest mit „etwas unternehmen“. Und es war immer eine wunderschöne Zeit, die ich in dieser Form nicht missen möchte – auch in Zukunft nicht. Aber eine solche Auszeit bedeutet immer Aktivität, bedeutet Vorbereitung, bedeutet Programm, bedeutet hie und da auch Nachbereitung, und wenn es nur die Selektion und das Ordnen der Fotos ist. Ich bin jedoch ein Mensch, der sich auch zuweilen nach Muße sehnt, nach süßem Nichtstun. Der Schriftsteller Andreas Maier schreibt: „Mit ein wenig Glück bleibt einmal im Jahr die Zeit stehen. Die zu erledigenden Dinge sind erledigt, oder das noch zu Erledigende verliert für ein paar Tage alle Dringlichkeit. Ein paar Sommerwochen lang herrscht Stillstand und eine angenehme Trägheit, man taucht ein in eine zweckfreie Welt.“ L’art pour l’art – und Leben um des Lebens willen.
Das ganze Jahr über ist das Leben geprägt von der Uhrzeit, von Terminen, von der Arbeit, vom Pflegen familiärer und sozialer Kontakte, etwas Zeit muss noch bleiben für die Weiterbildung, für Sport, für kulturelle Veranstaltungen, das Erledigen von ganz bodenständigen Dingen wie das Einkaufen einer Handcreme oder der Dübel für die Halterung, die schon lange angebracht werden sollte. Schließlich bin ich (zu) oft geschafft, und meistens ist es nach Erledigung alles dessen, was zu tun war, Abend – Zeit für die Nachrichten im Fernsehen. Eine Freundin von mir hat einmal erzählt: „Um neun habe ich mich zum ersten Mal hingesetzt und die Beine hochgelegt – und da war ich noch nicht Ehefrau!“ Die (ungeschminkte) Wahrheit, so scheint mir, darf gesagt werden, insbesondere in einer seriösen Zeitung.
Dieses Jahr hab ich mir den ungeheuren Luxus geleistet, meinen Urlaub so zu verbringen, wie ich früher als Kind die Sommerferien verbracht habe – irgendwo in der Sommerfrische abseits des heißen Bozen, planlos, sorglos, zeitlos. Ich muss keine Reise vorbereiten, mein Auto hat auch Urlaub, ich liege auf der Terrasse und beobachte gerade einen Raubvogel, der auf dem Wipfel eines Baumes gelandet ist. Die Luft flimmert vor Hitze, die Grillen zirpen, der Nachbar hat das Gras gemäht und es riecht nach Heu.
Nichts ist Pflicht, nichts muss erledigt werden, ich plane weder einen Ausflug noch einen Theaterbesuch oder sonst was. Meine Frisur muss nicht sitzen, ich kann mein Lieblings-T-Shirt anziehen, das vorne ein Loch hat, und Quatschsendungen im Fernsehen anschauen. Nicht einmal essen muss ich zu festgesetzten Zeiten, sondern kann dies tun, wenn mir danach ist. Das Highlight des Tages besteht darin, am Abend mit meinem Mann vor dem Haus zu sitzen, wieder einmal eine Zigarette zu rauchen (die Packung ist schon ganz ausgetrocknet) und zu beobachten, wie ein weiterer wunderschöner Tag geht. Die Schafe, die auf der Wiese weiden, die Katzen, die Bäume, der Wald, die Wiesen und die wenigen Wolken am Himmel sind mir Gesellschaft genug.
Ich muss nichts leisten und darf das tun, was andere in Kursen wie „Wie finde ich zu mir selbst“, „Sichtbar werden durch Selbst-PR“ Oder „Time-Management und Stressbewältigung“ erst mühevoll lernen müssen, nämlich einfach nur sein.
Vor nicht allzu langer Zeit habe ich einmal in einem Zeitungsartikel gelesen, dass der allseits bekannte Michil Costa sinngemäß folgende Aussage gemacht hat: „Eines Tages werden die Gäste zu uns kommen, um einfach irgendwo zu sitzen und unsere schöne Landschaft zu betrachten.“ Ich habe das immer für ein wenig verrückt gehalten angesichts nicht enden wollender Urlaubsaktivitäten. Nach den außerordentlich positiven Erfahrungen bei meiner jüngsten Auszeit weiß ich aber, wie gewinnbringend es sein kann, die verloren gegangene Muße neu zu entdecken. Vielleicht werden wir tatsächlich bald bereit sein, dafür zu zahlen, den Urlaub so verbringen zu können, wie ein Kind seine Sommerferien: mit dolce far niente.