Hamburg/Bozen – Im September sorgte der italienische Starkoch Gianfranco Viassani für einen Aufschrei unter seinen Kolleginnen. Über diese sagte er nämlich, dass sie zur Arbeit in der Gastronomie nicht taugten. Maximal für die Patisserie seien die Frauen geeignet. Die anderen Aufgaben seien schlicht zu anstrengend. Viassani ist beileibe nicht der Einzige, der nach wie vor so denkt. Der Kochberuf gilt als hart, der Umgangston in der Küche als rau. „Manche Frauen schreckt das ab“, sagt Antonia Stampfl (siehe beistehendes Interview).
Stampfl, Jahrgang 1995, hat im gerade zu Ende gegangenen Jahr ihre Ausbildung zur Köchin an der Landesberufsschule Savoy abgeschlossen. Bei der praktischen Prüfung hat sie eine glatte Zehn erhalten. Im November wurde sie deshalb als Südtirols Kochlehrling des Jahres ausgezeichnet. Wenig später packte sie ihre Koffer, um nach Hamburg zu ziehen. Dort arbeitet sie derzeit im Hotel Atlantic Kempinski, das sich um die Gastronomie des elitären Übersee-Clubs kümmert. In der Hansestadt, aus der auch ihre Mutter stammt, verbrachte Stampfl die ersten Jahre ihres Lebens. Eingeschult wurde sie in Meran, der Heimat ihres Vaters. Mit ihm teilt sie die Leidenschaft für das Kochen. „Immer sonntags gab es etwas Besonderes zu essen, mal Knödel, mal leckere Rippelen“, erinnert sich Stampfl. „Und ich durfte helfen.“ Seitdem habe sie mit dem Gedanken gespielt, eine Kochlehre zu absolvieren.
Nach der Mittelschule entschied sie sich zunächst jedoch dazu, die Technologische Fachoberschule (TFO) zu besuchen. „Alle meine Cousins und Cousinen hatten die Matura, also dachte ich, es wäre auch für mich der richtige Weg.“ Bald aber langweilte sie sich. „Ich bin einfach nicht dafür gemacht, den ganzen Tag zu sitzen“, schmunzelt Stampfl. Kurzerhand schmiss sie die Schule hin, und machte sich auf die Suche nach einem Übergangsjob. Auf einer Hütte bot man ihr genau die richtige Stelle an: Küchenhilfe. Fortan war Stampfls Ehrgeiz geweckt.
Manchmal faul, meist ehrgeizig, besonders in der Küche
Die Lehre sah sie nicht als Pflicht, sondern als Chance an. In der Lackner Stubn fand sie in Küchenchef Armin Gruber einen Lehrherrn, der sie förderte und forderte. 2017 nahm sie an ihrem ersten Wettbewerb teil: The Mountain Chef Unplugged. Drei junge Nachwuchstalente treten jährlich bei diesem Format gegeneinander an. Sie alle erhalten einen Warenkorb und müssen daraus ein Gericht zaubern. Das Besondere: Die Location befindet sich in luftiger Höhe auf der Schwemmalm in Ulten, und gekocht wird ohne Elektrizität. „Ich war unglaublich nervös“, blickt Stampfl zurück. Nach der Nervosität kam die Freude: Stampfl überzeugte die Jury und holte sich den ersten Platz. Bei der Landesmeisterschaft 2018 schaffte sie es ebenfalls aufs Treppchen. Nach wochenlanger Vorbereitung landete sie auf Rang drei. Neben der Arbeit hatte sie stundenlang trainiert. „In beruflicher Hinsicht bin ich schon sehr ehrgeizig“, räumt Stampfl ein. „In manchen Bereichen des Lebens kann ich auch ziemlich faul sein, aber wenn mich etwas begeistert, gebe ich alles.“
Wie groß die Begeisterung für ihren Beruf ist, lässt sich unschwer erkennen. Stampfl gerät geradezu ins Schwärmen, wenn man sie danach fragt. „Das Kochen bringt so viel mit sich. Man arbeitet mit super Produkten, die man sonst vielleicht nicht mal kennen würde. Man kann überall auf der Welt eine Stelle antreten, lernt spannende Leute kennen und hat im Idealfall ein Team, das zur zweiten Familie wird.“ Stampfl ist es wichtig, diese Vorzüge zu betonen. Sie möchte, dass der Beruf einerseits wieder mehr junge Leute begeistert, und dass er andererseits größere Wertschätzung in der Gesellschaft erfährt. „Hinter jedem Gericht steckt eine Menge Arbeit.“ Meist gebe es aber nur Rückmeldungen, wenn etwas nicht gepasst hat. Umso schöner sei positives Feedback. „Wenn es mir irgendwo geschmeckt hat, schicke ich deswegen immer ein Kompliment in die Küche“, erklärt Stampfl.
Das Ziel: ein eigenes Restaurant
Sie selbst sei in der Küche „nicht ganz planvoll“ unterwegs. Doch gerade die Kreativität macht in ihren Augen gute Köch*innen aus, zudem Faszination, Belastbarkeit, Geduld – und eine gute Menschenkenntnis.
„Jeder Koch ist nur so gut wie das Team, das hinter ihm steht.“
Antonia Stampfl
Obwohl Stampfl im Arbeitsalltag manchmal chaotisch ist, plant sie weit voraus. „Für die nächsten zehn Jahre habe ich mir grob überlegt, was ich machen möchte“, sagt sie, und schiebt nach: „Auch wenn es mit Plänen nicht immer klappt.“ Im Ausland möchte sie arbeiten, reisen, Erfahrungen sammeln. Und dann etwas Eigenes aufmachen. Ob in Hamburg oder in Südtirol, weiß sie noch nicht.
Die Serie In der Serie „Jung und hungrig“ stellt die SWZ junge Menschen in und aus Südtirol mit den verschiedensten Lebensläufen vor. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Sie sind jung und hungrig nach Erfolg. Alle Artikel können hier oder über die SWZapp nachgelesen werden.
Interview
„Wir können nicht noch mehr arbeiten“
SWZ: In der Spitzengastronomie sind fast ausschließlich Männer anzutreffen. Woran liegt das?
Antonia Stampfl: Manche Frauen tun sich schwer, mit dem Umgangston in der Küche klarzukommen. Der kann durchaus rau sein, aber meist nur in Ausnahmefällen. Als Koch muss man auf den Punkt abliefern, was natürlich Stress mit sich bringt. Gerade über Weihnachten und Neujahr ist für uns eine besonders hektische Zeit, danach wird es aber auch mal ruhiger. Und: Nach dem Service geben sich alle die Hand, egal, wie stressig es war. Das darf man nicht persönlich nehmen. Manchmal wird behauptet, als Frau habe man es in der Küche einfacher, weil auf einen besonders Rücksicht genommen werde. Das stimmt meiner Meinung nach nicht – im Gegenteil. Als Frau muss man sich teilweise noch mehr anstrengen, um ernst genommen zu werden. Ein weiteres Thema ist die Familienplanung. Sobald man Kinder bekommt, wird die Karriere in den meisten Fällen eingebremst, außer man hat einen Partner, der einen zu 100 Prozent unterstützt.
Das klingt so, als wäre die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch die Work-Life-Balance allgemein, schwierig umsetzbar. Welche Verbesserungsmöglichkeiten sehen Sie in diesem Bereich?
In Hamburg, wo ich derzeit arbeite, sind die Arbeitszeiten in der Küche besser geregelt. Ich arbeite im Schichtdienst, was natürlich nur in einem Betrieb mit einer entsprechenden Größe möglich ist. Es gibt aber ebenso kleinere Betriebe, die versuchen, gute Bedingungen zu bieten, zum Beispiel eine Viertagewoche. In der Gastronomie arbeiten die Menschen oft zehn und mehr Stunden am Tag. Wenn sich das schon nicht anders einteilen lässt, dann sollte der Ausgleich durch einen zusätzlichen freien Tag geschaffen werden, so dass die Wochenarbeitszeit wieder passt. Eine andere Möglichkeit wäre, die Überstunden, die in stressigen Zeiten angehäuft werden, in ruhigeren wieder abzubauen. In meinem Ausbildungsbetrieb, der Lackner Stubn in Algund, hatte ich das Glück, am Sonntag und Montag frei zu haben. Einen freien Tag unter der Woche weiß ich mittlerweile durchaus zu schätzen. Dann kann man viel besser Erledigungen machen (lacht). Auf jeden Fall bin ich überzeugt, dass die angesprochenen Veränderungen der Arbeitszeiten eine gute Möglichkeit wären, mehr junge Menschen für diesen tollen Beruf zu begeistern.
Den Nachwuchs braucht es dringend. Jahr für Jahr kommen mehr Touristen nach Südtirol. Haben wir eine Grenze erreicht?
Meiner Meinung nach sollten wir uns überlegen, wie wir weiteres Wachstum ermöglichen wollen. Wir haben jetzt schon nicht mehr genug Leute, um die ganze Arbeit zu erledigen. Viele Gastronomiebetriebe sind unterbesetzt, und das Personal kann nicht noch mehr Stunden machen als ohnehin schon. Südtirols Küche punktet vor allem mit ihrer Qualität. Gerade in einer Zeit, in der das Bewusstsein für gesundes Essen steigt, das im besten Fall auch regional und nachhaltig ist, sollte man sich das in Erinnerung rufen und daran festhalten.