Reingefallen! Falls Sie sich jetzt einen Artikel über die schönsten, tollsten, schrecklichsten, wichtigsten oder atemberaubendsten Ereignisse oder Persönlichkeiten erwartet haben, muss ich Sie enttäuschen. Aber keine Angst, solche „Rankings“ finden Sie anderswo mehr als genug. Es ist ja auch naheliegend: Ranglisten faszinieren uns. Sie haben etwas Sportliches an sich, sehen nach Wettkampf und Kräftemessen aus. Wer schafft es aufs Siegertreppchen, wer gehört zu den Verlierern? Unsere Vorliebe für „die Besten“, „die Schlechtesten“, „die Schönsten“ oder „die Reichsten“ machen sich natürlich auch die Medien zunutze. Oft geht es dabei wirklich um Wettbewerbe, etwa, wenn herausgefunden werden soll, welche die schönste Frau eines Landes, eines Kontinents oder der Welt ist. Nur: Ist die Fachjury wirklich vom Fach – und die Schönste wirklich die Schönste (oder nur eine Schöne?). Schließlich wissen wir doch, was wir von Experten in schönen Dingen zu halten haben: Während uns die Zeitschrift „Snob am Sonntag“ ein Foto von Britney Spears im Lederdress mit den Worten „ihr peinlichster Auftritt“ präsentiert, wird dasselbe Foto in der „INdiskret“ als „ihre furiose Rückkehr als Modeikone“ bejubelt. Hauptsache, Superlative.
Aber es wird ja noch abstruser. Zahllose Fernsehsendungen zeigen uns den „klügsten Deutschen“, „die dümmsten Autofahrer“, „die witzigsten Kinder“ oder „die freakigsten Freaks“. Auch hier wieder sind zum größten Teil „Jurys“ am Werk, die mit zweifelhafter Kompetenz, dafür aber mit einer ordentlichen Portion Schadenfreude und Menschenverachtung zuwerke gehen. Anstatt jedoch entnervt wegzuschalten, bleiben wir genau an solchen Sendungen hängen. Wir sind hingerissen. Endlich einmal werden uns Menschen gezeigt, die etwas Besonderes sind, nämlich besonders klug, besonders dumm, besonders peinlich oder eben: anders als wir. Und wir, die breite, in keiner Rangliste auftauchende, höchstens zu drögen Statistiken über Stromverbrauch oder Berufspendler taugende Masse, wir können unsere beiden Lieblingsemotionen aktivieren, mit denen wir auf andere blicken: Mitleid und Neid. Letzterer wurde in den vergangenen Monaten besonders oft erregt, wenn uns märchenhafte Spitzengehälter oder raketenhafte Aufstiege unter die Nase gerieben wurden. Ja, auch von lokalen Medien, die zunehmend Freude an solch drolligen Ranglisten entwickelt haben. Frei nach dem Motto „ich glaube nur Statistiken, die ich selbst gefälscht habe“ werden dem Leser Zahlen und Daten, Behauptungen und Unterstellungen präsentiert, die ad hoc schwer zu überprüfen sind.
Noch besser natürlich sind Rankings, bei denen nach dem oben genannten Vorbild objektive Kriterien überhaupt nur schwer feststellbar sind und „Tops“ und „Flops“ ganz im Ermessen ihrer Erfinder liegen. Da sie allerdings in seriös auftretenden Medien als „Tatsachen“ präsentiert werden und nicht als spätabendliche Stammtischgaudi von Friedl, Franz und Ferdinand, mit der sie allerdings sehr viel mehr gemein hätten, geht von ihnen doch einiges an Krisenpotenzial aus. An dieser Stelle will ich nicht über schlampige Recherchen und eine zweifelhafte journalistische Ethik schimpfen, mich beschäftigt eine andere Frage: Was machen wir als Leser mit solchen Ranglisten? Und was machen sie mit uns? Welchen Erkenntnisgewinn ziehen wir aus dem Wissen um die Reichsten im Lande? Mancher wird sich sagen: „Aha, das sind also die Leute, an die ich mich ranschmeißen muss.“ Aber sonst? Was bleibt, ich wiederhole es, ist der Neid. Ist er berechtigt?
Und die „Absteiger des Jahres“? Tun sie uns leid? Oder bleiben sie uns gleichgültig? Nützt ihre öffentliche Demütigung irgendjemandem?
Natürlich ist mir klar, dass die Frage nach dem Nutzen in vielen Medien kaum eine Rolle spielt. Unterhaltung ist alles. Vielleicht wäre es jedoch an der Zeit, neue Kategorien einzuführen, und zwar so viele, dass irgendwann unweigerlich jeder auf irgendeiner Rangliste landen könnte. Wer macht die besten Knödel im Land? Wer trägt den flottesten Haarschnitt? Welcher Schüler gibt die frechsten Antworten, welcher Arzt stellt die treffendsten Diagnosen? Welcher Bauer hat die dicksten Kartoffeln und welcher Vorgarten das grünste Gras? Vielleicht wäre unsere Lust am Wettbewerb endlich befriedigt, wenn wirklich jeder von uns einmal irgendwo aufscheinen könnte. Aber wer wäre wohl gerne „der unbeliebteste Mitbewohner“? Oder „der überflüssigste Leserbriefschreiber“? Am Ende führt das nur zu noch mieserer Stimmung in der WG und zu noch mehr überflüssigen Leserbriefen.
Die wirklich interessanten Ranglisten kann man sowieso in keiner Zeitung nachlesen. Wir führen sie privat, in unseren Herzen, und zwar im Positiven wie im Negativen. Unsere liebsten Rückzugsorte, unsere wichtigsten Gesprächspartner, unsere engsten Freunde behalten wir lieber für uns. Und auch denen, die wir nicht ausstehen können, sagen wir es selten ins Gesicht. Wir schreiben sie nur still auf unsere inneren Listen – und lächeln dabei. Es will mir scheinen, dass diese geheimen, unveröffentlichten Rankings jene sind, auf die es wirklich ankommt, und zwar unabhängig davon, ob wir sie selbst führen oder in ihnen aufscheinen. Unser Ehrgeiz sollte es sein, in ihnen eine gute Platzierung einzunehmen, als liebevolle Familienmitglieder, als gute Freunde, als hilfsbereite Mitmenschen, statt um den Titel des schnellsten Hotdog-Verdrückers zu wetteifern. Aber freilich ist ein Platz auf einem Siegertreppchen – egal, welchem – dem schwammigen Ruf, ein netter Mensch zu sein, allemal vorzuziehen. Da hat man wenigstens was Handfestes. So hoffe denn auch ich, dass es vielleicht bis zum Dezember zu einem kleinen Lorbeerkranz für mich reicht – als Moralpredigerin des Jahres. Voten Sie jetzt.