Neumarkt/Montan – In diesen Tagen hat Alfred Monsorno, der Hauptorganisator des Firmenlaufs, alle Hände voll zu tun: Die Teilnehmerlisten müssen überprüft und aktualisiert werden, jede Menge Material muss in den Start- und Zielbereich gefahren werden, letzte organisatorische Fragen sind zu klären. Die Organisation wird nicht einfacher, findet Monsorno, auch wenn er den Lauf nun schon zum 23. Mal organisiert: „Wir haben mittlerweile zwar einen festen Plan, an den wir uns halten, aber es kommen beinahe jedes Jahr neue Auflagen oder neue bürokratische Notwendigkeiten dazu.“
Dass das Laufevent eines Tages so erfolgreich sein würde, damit hatte der Montaner nicht gerechnet, im Gegenteil: „Vor der ersten Ausgabe wurde ich ausgelacht. ‚Wer will denn schon für die eigene Firma irgendwo mitlaufen?‘, wurde ich gefragt.“ Heute weiß Monsorno: Das wollen mehrere Tausend Menschen.
Eine Idee aus Frankfurt
Den Erfolg des Events erklärt sich der Montaner damit, dass die Motivation bei vielen steige, wenn sie gemeinsam mit anderen laufen, genauso wie mit der Freude, gemeinsam mit Arbeitskolleginnen und -kollegen einen Wettkampf zu bestreiten. Und: Laufen verbindet. Das weiß Monsorno aus eigener Erfahrung. Über die Jahre hat er sich ein großes Netzwerk aufgebaut, in Südtirol und weit darüber hinaus.
Bis zu 75.000 Laufbegeisterte nehmen am Firmenlauf in Frankfurt teil.
Zum Event inspiriert wurde er, als er einmal zu einem Lauf in Frankfurt eingeladen war. Die „JP Morgan Corporate Challenge“ ist eine Serie von Firmenläufen, die jährlich in zehn Städten auf der ganzen Welt ausgetragen werden. Der teilnehmerstärkste Lauf der Serie wird in Frankfurt veranstaltet, mit bis zu 75.000 Laufbegeisterten. Von solchen Zahlen ist der Firmenlauf in Neumarkt weit entfernt. Dennoch werden die Teilnehmenden kontinuierlich mehr, sie stiegen von 311 bei der ersten Ausgabe auf 2.800 in diesem Jahr. Zum ersten Mal liegt der Start- und Zielbereich deshalb nicht mehr im Zentrum Neumarkts, sondern beim Wohnzentrum Jungmann in der Handwerkerzone der Gemeinde.
Dort trifft sich Monsorno mit der SWZ. Er erklärt das Gelände: „Hier vorne wird die Start- und Ziellinie verlaufen“, sagt er und deutet mit seiner Hand auf eine imaginäre Linie auf dem Parkplatz. Weiter hinten werden die Startnummern verteilt. „Die Läufer laufen bis nach Neumarkt und wieder zurück. Dann wird gefeiert.“ Der 72-Jährige freut sich auf das Event, das ist nicht zu überhören. Lange Zeit war er selbst passionierter Läufer.
Marathon im TV: „Verrückt, dass ein Mensch das schaffen kann“
Er habe immer schon eine Leidenschaft für Sport gehabt, sehe sich auch heute noch viele Wettkämpfe und Rennen im Fernsehen an. „Ich schaue alles, außer Schach. Das verstehe ich nicht“, scherzt er. So sah er sich auch im Jahr 1972, als die Olympischen Sommerspiele in München stattfanden, viele Wettkämpfe an, unter anderem den Marathon. „Ich dachte dabei: ‚Verrückt, dass ein Mensch das schaffen kann‘“, so Monsorno, der zu der Zeit regelmäßig Fußball spielte.
Der damals 20-Jährige rechnete aus: Wenn er 210-mal am 100 Meter langen Fußballfeld auf- und ablaufen würde, dann würde er ebenfalls einen Marathon gelaufen sein. Also stellte er sich eines Nachmittags an den Rand des Feldes. Lief los. Und gab bald einmal auf. „Nach vier- oder fünfmal auf- und ablaufen war ich fix und fertig“, erinnert er sich lachend. Dennoch war die Lust aufs Laufen geweckt.
Die ersten Laufschuhe waren Tennisschuhe
Die ersten Laufschuhe bekam er von seinem Bruder, der alte Tennisschuhe zu Hause herumliegen hatte. Monsornos Füße waren aber zu groß dafür. Also trennte dieser kurzerhand die Einlage ab, riss sie heraus und lief ohne. Kleine Eisenklammern, die die Sohle am Innenschuh festhalten sollten, verursachten bald einmal schmerzhafte Blasen. „Trotzdem waren das die Schuhe, in denen ich meine Laufkarriere gestartet habe“, sagt Monsorno. Er klingt selbst ein bisschen ungläubig.
Sein erstes Ziel als Läufer war überschaubar: Er wollte von Montan nach Pinzon, einer Fraktion der Gemeinde Montan, laufen und wieder zurück. Drei Kilometer. Nach zwei Wochen lief er zum ersten Mal die gesamte Strecke durch. Geschafft habe er das, weil er sich immer wieder neue Ziele gesetzt habe: Einmal lief er bis zu einem Laternenpfahl, am nächsten Tag 200 Meter weiter bis zu einem Baum. „Das habe ich später weitergeführt: Ich habe mir immer wieder kleine, aber erreichbare Ziele gesetzt.“ Bei seinem ersten Wettkampf wurde er Zweiter – dann verbot ihm sein Vater das Laufen.
Ein kurzes Laufverbot
Nach der Sonntagsmesse sei sein Vater einmal von den anderen Bauern im Dorf gefragt worden, warum er denn hart arbeite, während der Sohn laufen gehe und offensichtlich zu wenig arbeite. Das sei dem Vater unangenehm gewesen. „Er kam also nach Hause und sagte, ich dürfe nicht mehr laufen gehen.“ Anstatt auf seine Trainings zu verzichten, verlegte der junge Monsorno die Laufeinheiten von Montan, wo ihn viele kannten, an den Etschdamm in der Talsohle.
Monsorno erinnert sich gerne an diese ersten Jahre als Läufer zurück. Er spricht über seine Trainings, über Wettkämpfe im In- und Ausland, über Gepflogenheiten in der Läuferszene. Damals seien Intervall- oder Tempoläufe, wie sie heute gemacht werden, noch nicht auf Trainingsplänen gestanden. „Wir haben vor allem oft trainiert – und lange.“
Seinen letzten Marathon lief der Montaner im Jahr 2019 in New York, genau 40 Jahre nach seiner ersten Teilnahme.
Acht- bis neunmal pro Woche lief er, morgens und abends. Untertags arbeitete er in Vollzeit bei einer Bozner Bank. „Das war aber nicht mein Traumjob“, gesteht Monsorno. Es ist schwer vorstellbar, dass der umtriebige Mann einmal acht oder neun Stunden an einem Schreibtisch saß. Trotzdem blieb er 15 Jahre lang Bankangestellter.
In dieser Zeit bewältigte er seinen ersten Marathon, 1976 im Schwarzwald. Darauf folgten 29 weitere, unter anderem jener in New York 1979. Monsorno war der erste Südtiroler, der daran teilnahm. Die Stimmung sei legendär gewesen. „Da standen zweieinhalb bis drei Millionen Leute an der Strecke und jubelten uns zu.“ Immer noch gilt der New-York-Marathon in der Läuferszene als einer der wichtigsten; er zählt mit denen in Tokio, Boston, London, Berlin und Chicago zu den sogenannten „Major Marathons“.
Kampf um die Minuten
Seine Bestzeit bei einem Marathon erreichte Monsorno aber nicht beim New Yorker Lauf, sondern bei jenem in Chicago 1986. Dort schaffte er es, die „Schallmauer“, wie er sie nennt, von zwei Stunden und 20 Minuten zu durchbrechen. „Darauf habe ich 13 Jahre lang hingearbeitet“, so Monsorno. Er lief die 42,195 Kilometer in 2:19 Stunden, für einen Kilometer brauchte er 3:18 Minuten. Damit schaffte er es auf den 27. Platz von mehreren Tausend Läufern. Der Erstplatzierte war elf Minuten schneller als er. „Aber es ging mir nie um die Ränge, sondern um die Zeit. Jede Minute, die ich schneller wurde, war ein harter Kampf.“
Rund um die Jahrtausendwende machte er sein Hobby zum Beruf und widmete sich ausschließlich der Organisation von Veranstaltungen rund ums Laufen.
Ein Jahr, nachdem sein erstes von drei Kindern 1985 auf die Welt gekommen war, hörte er mit dem intensiven Training auf. Das Training sei mit seinen Pflichten als Vater nicht vereinbar gewesen. Von da an lief er zwar noch, aber nicht mehr stundenlang. „Für den Kopf war das angenehmer, weil ich nicht mehr den Druck eines Trainingsplans hatte“, so Monsorno.
Das Hobby wird zum Beruf
Seinen Bürojob legte er ebenfalls nieder und eröffnete 1988 ein Sportgeschäft, Sport Aktiv in Neumarkt. In der Zeit begann er, Laufevents zu organisieren. Rund um die Jahrtausendwende machte er schließlich sein Hobby zum Beruf und widmete sich ausschließlich der Organisation von Veranstaltungen rund ums Laufen. Monsorno organisierte etwa den Südtirol-Marathon von 1993 bis 2010; zuletzt sei der bürokratische Aufwand zu groß geworden. Ab 2001 initiierte er den Firmenlauf. Den „Run for Life“, bei dem Spenden für verschiedene Organisationen gesammelt werden, rief er 2017 ins Leben. Diesen Lauf organisiere er ehrenamtlich. Das zu unterstreichen, ist dem 72-Jährigen wichtig.
Auch bei weiteren Gelegenheiten hat er sich immer wieder für den guten Zweck engagiert. Anlässlich seines letzten Marathons in New York etwa sammelte er mehr als 15.000 Euro an Spendengeldern; beim Firmenlauf gehen zwei Euro pro Anmeldung an das Dormizil in Bozen. Dort arbeitet er an mehreren Tagen pro Monat mit und bereitet für Obdachlose das Frühstück vor.
Warum er das tue, fragen wir ihn. „Ich hatte im Leben ein paar Schicksalsschläge, aber auch immer wieder viel Glück“, sagt er. Mit 14 Monaten sei er beinahe an einer beidseitigen Lungenentzündung gestorben. Später entkam er noch einmal dem Tod, und zwar am 19. Juli 1985: „Ich hätte mich um 12 Uhr in einem Sportgeschäft in Tesero mit dem Vertreter eines Sponsors treffen sollen. Dieser sagte den Termin aber ab, weil sein Auto kaputt war und er nicht nach Tesero kommen konnte. Also blieb ich ebenfalls zu Hause.“ Um kurz nach zwölf brach im Stava-Tal der Damm eines Bergwerks, das Dorf wurde überschwemmt. Mehr als 250 Menschen starben, unter ihnen der Besitzer des Sportgeschäfts, in dem Monsorno eigentlich hätte sein sollen. Mit seinem Engagement wolle er etwas zurückgeben.
Der letzte Marathon
Seinen letzten Marathon lief der Montaner im Jahr 2019 in New York, genau 40 Jahre nach seiner ersten Teilnahme. Seine beiden Söhne liefen mit, seine Tochter feuerte das Trio an. Aufgrund einer Verletzung an der Achillessehne sei er die ganze Strecke gegangen, anstatt zu laufen. „Es war trotz Schmerzen der schönste Lauf meiner ganzen Karriere“, sagt Monsorno.
In seine Laufschuhe schlüpft er einmal in der Woche. Dabei habe er immer noch die besten Ideen für seine Projekte. „Ich habe das Laufen einfach hier drin“, sagt Monsorno und zeigt mit seinem Finger auf die Adern an seinem Unterarm. Das Laufen hat er im Blut.