Wohl jeder kennt jemanden, der komplett ahnungslos ist – und dennoch vollkommen von sich überzeugt. Dass totale Ahnungslosigkeit und totale Selbstüberschätzung oft Hand in Hand gehen, ist kein Zufall. Die Forscher David Dunning und Justin Kruger beschrieben 1999 als Erste eine kognitive Verzerrung, durch die sich inkompetente Menschen über- und kompetente Menschen unterschätzen. Das Phänomen wurde nach den nordamerikanischen Entdeckern benannt: Dunning-Kruger-Effekt. Als Hypothese formulierten die Wissenschaftler eine Frage, die dem einen oder anderen schon mal durch den Kopf gegangen sein wird: Ist sich ein inkompetenter Mensch gerade wegen seiner Inkompetenz nicht bewusst darüber, wie inkompetent er ist? Kurz gesagt: Kann jemand zu dumm sein, um es selbst zu merken? Die Studie belegte, dass Personen mit geringer Sach- und Fachkompetenz dazu neigen, sich selbst zu überschätzen. Dazu kommt, dass sie die Leistung anderer unterschätzen. Umgekehrt schätzen kompetente Personen ihre Fähigkeiten häufig zu schlecht ein.
Wer inkompetent ist, überschätzt sich also gern, während die kompetenten Menschen sich eher unterschätzen. Daraus ergibt sich zuweilen ein Problem, besonders in der Arbeitswelt: Zu selbstsichere Laien drängen sich in den Vordergrund und übernehmen wichtige Aufgaben. Die eigentlichen Profis bleiben auf der Strecke. Um Misserfolgen vorzubeugen, sollte die Kompetenz gerade von sehr selbstsicheren Menschen kritisch hinterfragt werden. Nur weil jemand selbstsicher auftritt, heißt das nämlich noch lange nicht, dass auch viel dahintersteckt.
Schon Charles Darwin stellte fest: „Unwissenheit erzeugt viel häufiger Selbstvertrauen als Wissen“, benannte seine Beobachtung aber nicht. Shakespeare wiederum schrieb: „Der Narr meint, er sei weise, doch der weise Mann weiß, dass er ein Narr ist.“ Vermutlich konnte sich das Phänomen seither ungehindert verbreiten. Selbst im Weißen Haus in Washington wird ein Betroffener vermutet. Es ist im Grunde einleuchtend, warum ahnungslose Menschen mehr Selbstbewusstsein aufbauen: Sie sind angst- und stressfrei. Angenommen, jemand begegnet einem komplexen Problem. Besitzt dieser jemand eine gewisse Qualifikation, wird er dessen Komplexität erkennen. Die Folgen sind Stress und Angst, weil man weiß, wie viel Wissen einem noch fehlt. Ist diese Mindestqualifikation nicht vorhanden, erscheint das Problem erst gar nicht als komplex. Dazu kommt, dass durch die Inkompetenz auch noch die Leistung der anderen falsch eingeschätzt wird. Ein Dummkopf in einer Führungsposition schafft sich auf diese Weise ein Imperium der Idiotie. Man könnte auch sagen, er oder sie ist beratungsresistent. Die Selbstüberschätzer schlüpfen außerdem gerne in die Opferrolle. Bei Niederlagen schieben sie die Schuld stets auf Dritte – den Markt, die Kunden, das Produkt. Sie nehmen eine Haltung der Verantwortungslosigkeit ein, sind sich des eigentlichen Problems nicht bewusst und können somit auch zu keiner Lösung gelangen. Doch keine Sorge, es gibt Hoffnung. Die falsche Selbstwahrnehmung kann korrigiert werden, wenn die betroffenen Personen bereit sind, dazuzulernen und so ihre Kompetenzen auszubauen.
Die Studie von Dunning und Kruger belegte zusammenfassend folgende Aussagen über inkompetente Menschen:
- überschätzen meist, was sie können.
- unterschätzen die überlegenen Fähigkeiten anderer.
- erkennen das Ausmaß ihrer Inkompetenz nicht.
- können lernen, sich und andere besser einzuschätzen.
Sollte man also demnächst wieder in eine Diskussion verwickelt werden über narzisstische Persönlichkeiten – wie einen gewissen Präsidenten mit adrett toupierter Haarpracht –, kann man seinen Gesprächspartner darüber aufklären, unter welcher kognitiven Verzerrung diese leiden. Offensichtlich unwahre Behauptungen werden dadurch leider nicht wahrer. Bleibt nur zu hoffen, dass sich der Dunning-Kruger-Effekt nicht weiter verbreitet, auf dass er eines Tages Geschichte sein wird.