Bozen – Die Landesregierung hat vergangene Woche grünes Licht für Agrivoltaik gegeben. In Zukunft ist es also möglich, unter bestimmten Voraussetzungen auf landwirtschaftlichen Flächen mit Photovoltaikanlagen Solarstrom zu produzieren.
Die Grundsatzdiskussion darüber, ob es erlaubt sein soll, über Apfel- oder Marillenbäumen zum Beispiel PV-Anlagen einzurichten, war über mehrere Jahre geführt worden – mal angeregter, mal leiser. Gegner:innen meinen, Agrivoltaik solle nicht erlaubt werden, weil es auf versiegelten Flächen noch genügend Potenzial gibt. Befürworter:innen sagen hingegen, Südtirol solle jede sich bietende Chance ergreifen, die Klimawende zu schaffen.
„Um die Klimaziele zu erreichen, brauchen wir Photovoltaik – und Agrivoltaik ist ein Mosaikstein in dem großen Ganzen.“ Peter Brunner
Die neue Landesregierung stellte sich auf die Seite der Befürworter:innen. Eines der Ziele im Programm der Kompatscher-III-Regierung: die Ausarbeitung einer gesetzlichen Regelung zu Agrivoltaik. Energielandesrat Peter Brunner verweist auch auf den Klimaplan des Landes. Dieser sieht vor, dass bis 2030 zusätzliche 400 Megawatt Strom mittels Photovoltaik produziert werden. Bis 2037 sollen weitere 400 Megawatt dazukommen. Brunner: „Um die Klimaziele zu erreichen, brauchen wir Photovoltaik – und Agrivoltaik ist ein Mosaikstein in dem großen Ganzen.“
Vergangene Woche also hat die Landesregierung einen ersten Schritt gesetzt, sodass in Zukunft Bäuerinnen und Bauern zu Energieproduzentinnen und -produzenten werden könnten. Allerdings gibt es zahlreiche Einschränkungen.
Strenge Kriterien

Die Bedingungen für Agrivoltaik hat die Landesregierung in einer Durchführungsverordnung festgelegt (siehe Info). PV-Paneele kommen ausschließlich oberhalb von Äpfeln, Birnen, Kirschen, Aprikosen oder Pflaumen infrage, das Gelände darf eine Neigung von maximal zehn Prozent haben und die Bewirtschaftung muss auf mindestens 70 Prozent der Fläche fortbestehen. Auch darf die landwirtschaftliche Fläche nicht mehr als 75 Meter oberhalb von Etsch oder Eisack liegen.
Mit diesen Regeln habe man das Landschaftsbild schonen wollen, sagt Brunner. „Deshalb bleiben die Agrivoltaikanlagen im Talboden und dort auf Hängen, die nicht zu stark geneigt sind. Je mehr Neigung es gibt, umso besser sind die Paneele zu sehen.“ Es sei der Landesregierung bewusst, dass bei diesem Thema eine Gratwanderung vollzogen werde „zwischen der nachhaltigen Energiegewinnung sowie der Ermöglichung eines zweiten Standbeins für die Landwirtschaft einerseits und dem Schutz der Landschaft andererseits“.
Nur in Teilen Südtirols möglich
Mit dem Beschluss wird Agrivoltaik auf mehr als 5.600 Hektar möglich (siehe Karte). De facto werden durch die Vorgaben – insbesondere jenen zur Hangneigung und zur Höhe über Etsch und Eisack – aber weite Teile Südtirols von der Möglichkeit ausgeschlossen, Agrivoltaikanlagen einzurichten. Vor allem im Unterland und im Etschtal ist es nun erlaubt, aber auch teilweise im Vinschgau und in wenigen Fällen im Eisacktal. Für den Rest des Landes kommt Agrivoltaik unter den aktuellen Bestimmungen nicht infrage. Brunner ist von dieser Entscheidung überzeugt: „Wir haben uns im Austausch mit dem Bauernbund und dem Heimatpflegeverband darauf geeinigt, Agrivoltaik auf einige Flächen zu konzentrieren, anstatt die Anlagen aufs ganze Land zu verteilen.“
Eine der Bestimmungen in der Durchführungsverordnung der Landesregierung ist, dass sich der landwirtschaftliche Ertrag um höchstens 30 Prozent verringern darf. Die Sache ist aber: Wie sich die PV-Anlagen auf die Ernte(-menge) auswirken, weiß heute noch niemand so genau.
Pilotanlage soll Antworten liefern

Antworten soll das europäische Projekt „Symbiosist“ liefern. Geleitet wird es von Eurac Research, auch der Bauernbund und das Versuchszentrum Laimburg sind beteiligt. Im Frühling wurde in der Gemeinde Auer eine Pilotanlage über Apfelbäumen eingerichtet. „Wir wollen die Vorteile, Nachteile, Herausforderungen und den Mehrwert dieser Symbiose aus Landwirtschaft und Energieerzeugung erforschen“, sagt Walter Guerra, Vizedirektor des Versuchszentrums Laimburg und Leiter des Instituts für Obst- und Weinbau.
Auf 3.000 Quadratmetern, mit einer Spitzenleistung von 70 Kilowatt, wurde die Anlage errichtet – nach wissenschaftlichen Kriterien. „Wir haben unterschiedliche Paneele in unterschiedlicher Ausrichtung mit mehr und weniger Lichtdurchlässigkeit angebracht“, sagt Guerra. Gleich nebenan wächst dieselbe Apfelsorte – Ipador Giga – ohne PV-Anlage. „Das ermöglicht einen direkten Vergleich“, so Guerra. Bei Ipador Giga handelt es sich um eine zweifarbige Sorte. „So finden wir heraus, wie sich die Beschattung auf die Ausfärbung auswirkt. Denn nicht nur die Erntemenge ist wichtig, sondern etwa auch die Ausfärbung. Sie entscheidet mit, ob die Äpfel als erste Klasse klassifiziert werden.“
Von einigen Projekten wird berichtet, dass die Ernte bei Agrivoltaik um 50 Prozent zurückgeht, von anderen, dass sie gleich bleibt. Was unter Südtiroler Voraussetzungen mit den Äpfeln unter den Paneelen geschehe, sei schwer vorauszusagen. Die Verhältnisse seien schlichtweg nicht dieselben wie anderswo, so Guerra. „Einerseits gibt es die Sorge, dass es Einbußen geben könnte, andererseits haben wir in den letzten Jahrzehnten festgestellt, dass die Sonneneinstrahlung und -intensität immer stärker und teilweise auch problematischer werden. Deshalb könnte die Beschattung sogar einen Vorteil bringen.“
„Als Wissenschaftler sage ich: Es ist wichtig, dass man seine Entscheidungen auf Daten und Fakten basiert und nicht auf Versprechen oder Werbung. Deshalb ist meines Erachtens schon gewisse Vorsicht geboten. Wir wollen aber niemanden bremsen. Jeder Landwirt soll Unternehmer sein können.“
Im Herbst, wenn die ersten Äpfel der Anlage geerntet werden, werde man mehr dazu wissen, im kommenden Jahr, nach der zweiten Ernte, sei dann mit noch mehr Daten zu rechnen. Walter Guerra: „Man muss aber reinen Wein einschenken: Selbst mit unserem Forschungsprojekt werden wir nicht in der Lage sein, alle Fragen zu beantworten. Es gibt viele Variablen. So haben wir 20 Sorten im Land, in unterschiedlichsten Lagen.“ Würde Guerra also den Landwirtinnen und Landwirten raten, noch abzuwarten? „Als Wissenschaftler sage ich: Es ist wichtig, dass man seine Entscheidungen auf Daten und Fakten basiert und nicht auf Versprechen oder Werbung. Deshalb ist meines Erachtens schon gewisse Vorsicht geboten. Wir wollen aber niemanden bremsen. Jeder Landwirt soll Unternehmer sein können.“
Eine Million Euro pro Hektar

Einige Bäuerinnen und Bauern haben schon Interesse an Agrivoltaik bekundet, sagt Matthias Bertagnolli, Leiter der Abteilung Innovation und Energie im SBB. „Es sind bei uns einige Anrufe eingegangen. Aber auch wir wissen bislang nicht allzu viel über Agrivoltaik in Südtirol. Wir warten auf die Ergebnisse aus dem Versuchsprojekt.“
„Man wird bei uns ein System finden müssen, das sich auch auf kleinen Flächen rechnen kann.“
In der Regel spreche man bei Agrivoltaik von Investitionskosten von etwa einer Million Euro pro Hektar landwirtschaftlicher Fläche. Weil Südtirols Landwirtschaft aber kleinteilig strukturiert ist und es wohl wenig Apfelbäuerinnen und -bauern gibt, die über einen zusammenhängenden Hektar Fläche verfügen, dürften die Kosten höher sein, erklärt Bertagnolli: „Da wird man bei uns ein System finden müssen, das sich auch auf kleinen Flächen rechnen kann.“
Nicht nur die Größe, auch die Lage des Grundstücks wird sich auf die Kosten auswirken. „Je weiter es von der Infrastruktur und einem Einspeisungspunkt entfernt ist, umso teurer wird es“, sagt Bertagnolli. Tendenziell dürfte Agrivoltaik deshalb für jene Flächen rentabler sein, die sich beispielsweise in der Nähe von Gewerbezonen befinden, wo es bereits die Infrastruktur gibt.
Bertagnolli rät: Bevor ein landwirtschaftlicher Betrieb sich dafür entscheidet, eine Agrivoltaikanlage einzurichten, sollten Fragen zur Wirtschaftlichkeit beantwortet werden: Wie hoch sind die Kosten, wie lange ist der Abschreibungszeitraum? Und mit wie viel Ernteeinbußen wird zu rechnen sein? „Es könnte sich lohnen, noch etwas Geduld zu haben. Denn wir haben noch nicht genug Daten, um sicher sagen zu können, wo es sich rechnen könnte und wo nicht“, so Bertagnolli.
Aufgrund dieser Unsicherheiten erwartet er keine große Flut an Anfragen in den nächsten Wochen und Monaten – auch, weil es derzeit keine Förderungen für Agrivoltaik gibt.
Keine Fördermöglichkeiten
Stand heute müssen die Landwirtinnen und Landwirte die Kosten selbst tragen. Zwar stehen für die Agrivoltaikförderung 1,1 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbauplan PNRR zur Verfügung, doch diese laufen im September aus. „Für die meisten bei uns im Land wird sich das zeitlich nicht mehr ausgehen“, sagt Bertagnolli.
Dass das Land eine Förderschiene einrichtet, sei nicht geplant, sagt Landesrat Peter Brunner. „Ich rechne aber damit, dass es in Zukunft Förderungen auf nationaler oder EU-Ebene geben wird.“ Die Fördermöglichkeiten werden entscheidend sein, sagt Brunner, ob Agrivoltaik in Südtirol eingerichtet wird oder ob es eine Randerscheinung bleibt.
Eben weil die Kosten für die PV-Anlagen selbst getragen werden müssen und weil viele Fragen noch offen sind, rechnet Brunner nicht damit, dass demnächst allzu viele Anlagen ans Netz gehen werden. Das sei aber nicht zwingend negativ, findet er. Die erste Zeit könne eine Lernphase sein. Brunner: „Vielleicht ist es sogar gut, wenn die Nachfrage nicht gleich überhitzt ist. Viele haben Angst, dass das Landschaftsbild beeinträchtigt wird. So können wir uns langsam herantasten.“
Dieser Artikel ist in der gedruckten SWZ mit folgendem Titel erschienen: Die doppelte Ernte
Info
Die Regeln für Agrivoltaik
In ihrem Beschluss hat die Landesregierung zahlreiche Einschränkungen für Agrivoltaik festgelegt. Unter anderem ist Agrivoltaik nur auf Obstbauflächen in der Talsohle erlaubt.
Das sind die weiteren Regeln:
- Es ist eine landschaftsrechtliche Genehmigung erforderlich.
- Die landwirtschaftliche Fläche darf nicht mehr als 75 Meter oberhalb von Etsch oder Eisack liegen.
- Mit Obstbau ist der Anbau von Äpfeln, Birnen, Kirschen, Aprikosen oder Pflaumen gemeint.
- Es muss in den letzten fünf Jahren eine ununterbrochene landwirtschaftliche Tätigkeit vorliegen.
- Das Gelände darf eine Neigung von maximal zehn Prozent haben.
- Die Bewirtschaftung muss auf mindestens 70 Prozent der Fläche fortbestehen.
- Der landwirtschaftliche Ertrag darf sich um höchstens 30 Prozent der letzten fünf Jahre verringern.
- Es sind nur leichte Konstruktionen mit nicht reflektierenden Paneelen erlaubt.
- Die Paneele müssen auf mindestens 2,10 Metern und maximal 5,80 Metern Höhe angebracht werden.
- Die Anlagen dürfen maximal 40 Prozent der Fläche bedecken.
- Die Mittelspannungskabine darf maximal 20 Quadratmeter groß sein.
- Der Stromertrag darf nicht weniger als 60 Prozent im Vergleich zu Standard-PV-Anlagen betragen.
- Es muss ein Monitoring des Wasserverbrauchs durchgeführt werden.
- In Landschaftsgütern von besonderer Bedeutung und in gesetzlich geschützten Gebieten ist Agrivoltaik nicht erlaubt.

















