Bozen – Seit Wochen wartet Italiens Fachwelt gespannt auf die Veröffentlichung der letzten vier Durchführungsdekrete zum famosen Jobs Act, welche der Ministerrat Anfang September verabschiedet hat. Diese Durchführungsdekrete machen die vieldiskutierte Arbeitsmarktreform der Regierung Renzi erst anwendbar. Zwar stand die Veröffentlichung im Staatlichen Amtsblatt, welche die Voraussetzung für das Inkrafttreten ist, bei Redaktionsschluss für diese SWZ noch aus, allerdings hat die Regierung mittlerweile die vier Durchführungsdekrete auf ihrer Website www.governo.it unter dem Menüpunkt „provvedimenti“ online gestellt. Es darf also davon ausgegangen werden, dass die Dekrete in der vorliegenden Form ins Amtsblatt kommen und somit in Kraft treten.
Damit steht auch fest, dass Matteo Renzi dem Protest der Gewerkschaften standgehalten und bei der Fernkontrolle von Mitarbeitern die von ihm angekündigte harte Linie gewählt hat. Festgeschrieben ist das in Artikel 23 von einem der vier Dekrete, dem sogenannten Vereinfachungsdekret. Matteo Renzi geht – zu Recht – davon aus, dass kein Arbeitgeber seine Mitarbeiter systematisch überwachen und drangsalieren wird. Er findet es aber offensichtlich angebracht, den Arbeitgebern für den Notfall eine Handhabe gegen Mitarbeiter in die Hand zu geben, die dem Unternehmen – und auch den Arbeitskollegen – schaden. „Es handelt sich um keine komplette Liberalisierung. Nichtsdestotrotz gibt die Regierung den Arbeitgebern schlagkräftige Instrumente in die Hand“, analysiert der Sterzinger Arbeitsrechtsberater Josef Tschöll. Tschöll machte sich in den vergangenen Monaten im Hintergrund – gemeinsam mit dem SVP-Senator Hans Berger, der Mitglied der Arbeitskommission ist – maßgeblich dafür stark, dass im Rahmen des Jobs Act der Artikel 4 des Arbeiterstatus von 1970 und somit die Regeln für die Fernüberwachung der Mitarbeiter überarbeitet werden.
Wie sieht die Regelung im Detail aus?
Überwachungskameras: Unverändert aufrecht bleibt die Genehmigungspflicht für Überwachungskameras, wie sie vor 45 Jahren im Artikel 4 des Arbeiterstatuts festgeschrieben wurde. Wenn ein Unternehmen Kameras installieren möchte, dann muss dies vorab mit dem Betriebsrat vereinbart oder alternativ vom Arbeitsinspektorat genehmigt werden. Dies gilt auch für Videokameras, die allein der Diebstahlvorbeugung dienen, denn theoretisch könnten damit auch die Mitarbeiter überwacht werden (siehe SWZ 12/15 vom 27. März). Neu ist, dass die Installation von Überwachungskameras nicht nur für „Erfordernisse der Organisation und Produktion sowie der Arbeitssicherheit“ erlaubt ist, sondern auch „für den Schutz des Betriebsvermögens“. Der eigentlich bedeutende Passus des Vereinfachungsdekrets verbirgt sich aber in Absatz 3 des Artikels 23: Die Videoaufzeichnungen sind „verwendbar für alle Zwecke im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, vorausgesetzt, der Mitarbeiter wird angemessen über die Art der Nutzung der Geräte sowie der Durchführung der Kontrollen informiert“, immer im Rahmen der geltenden Datenschutzbestimmungen. Für Josef Tschöll ist damit erstmals schwarz auf weiß festgehalten, dass die Videoaufzeichnungen auch von disziplinarrechtlicher Bedeutung sind.
Smartphones und Tablets: Der erwähnte Artikel 23 regelt auch erstmals die Verwendung von Smartphones und Tablets, welche der Arbeitgeber den Mitarbeitern als Arbeitsinstrument zur Verfügung stellt. Bisher war dies eine Grauzone, auch deshalb, weil 1970 bei der Erarbeitung des Arbeiterstatuts Smartphones und Tablets nicht einmal zu den kühnsten Zukunftsszenarien zählten. Der Gesetzgeber nennt Smartphones und Tablets etwas kryptisch „altri strumenti“. Und für diese „anderen Geräte“ gelten dieselben Regeln wie für die Überwachungskameras. „Werden die Smartphones und Tablets etwa mit einer Software versehen, welche die Ortung der Mitarbeiter ermöglicht, muss das mit dem Betriebsrat vereinbart oder vom Arbeitsinspektorat genehmigt werden“, so Tschöll. Jedenfalls sind die gesammelten Informationen auch in diesem Fall „für alle Zwecke“ verwendbar.
E-Mail- und Internetverkehr: Der Arbeitgeber hat laut Tschöll nun eine gesetzliche Grundlage, um den Internet- und E-Mail-Verkehr auf Computern, Tablets und Smartphones zu überprüfen, welche er den Mitarbeitern bereitstellt. „Es ist allerdings im Sinne des Artikels 23, Absatz 3 notwendig, im Betriebsreglement ausdrücklich darauf hinzuweisen und auch festzuschreiben, was die Mitarbeiter dürfen und was nicht“, erklärt Tschöll.
Für Josef Tschöll steht fest: „Matteo Renzi hat sich nach der Aufweichung des Kündigungsschutzes und der Einschränkung von Gewerkschaftsfreistellungen im öffentlichen Dienst nun den dritten Tabubruch erlaubt, indem er die Möglichkeiten der Fernkontrolle ausweitet.“ Für die allermeisten Betriebe und ihre Mitarbeiter wird sich wenig ändern. Kaum ein Arbeitgeber hat etwas dagegen, wenn ein fleißiger Mitarbeiter während der Arbeitszeit auch einmal einen privaten Blick ins Internet wirft oder eine Reise bucht. Mitarbeiter aber, deren Produktivität auffallend gering ist, eben weil sie viel Zeit auf Facebook vertrödeln oder private Mails durch die Weltgeschichte jagen, werden es in Zukunft schwerer haben. Etwas dagegen haben aber wahrscheinlich weder die Arbeitgeber, noch die fleißigen Mitarbeiter, welche die Arbeit der Trödler miterledigen müssen.