Bozen/Rom – „Die Rente ist sicher“. Diese Feststellung des ehemaligen deutschen Arbeitsministers Norbert Blüm ist längst zu einem geflügelten Wort geworden, das gerne verwendet wird, weil es die Nerven beruhigt. In Südtirol hat zuletzt der ehemalige INPS-Mitarbeiter und heutige Landtagsabgeordnete Helmut Renzler davon gesprochen, dass nach der jüngsten Rentenreform das System auf einer soliden Grundlage steht. Das mag mit Blick auf die Neubemessung der Renten nach dem Beitragssystem und in der Hoffnung, dass es wieder mehr Beschäftigte und damit Versicherte gibt, richtig sein. Derzeit gibt die Lage des INPS allerdings wenig Anlass, optimistisch zu sein: Solide ist etwas (ganz) anders.
Das „Istituto Nazionale della Previdenza Sociale“ (INPS) ist das größte Renten- und Sozialinstitut in Europa. Rund 210 Milliarden Euro nimmt es an Beiträgen der Versicherten ein, dazu kommen gut 97 Milliarden an Überweisungen des Staates für soziale Leistungen und vier Milliarden andere Einnahmen, zusammen knapp 312 Milliarden. Auf der Ausgabenseite stehen 266 Milliarden für Rentenzahlungen, knapp 38 Milliarden für andere Leistungen und weitere Mittel, darunter 4,5 Milliarden Verwaltungskosten, zusammen knapp 323 Milliarden – und damit ein Fehlbetrag von elf Milliarden Euro. Der Haushaltsvoranschlag 2014 umfasst 700 Seiten und ist damit schwer durchschaubar, zumal vielfach keine klare Trennung zwischen beitragsfinanzierten Leistungen und Sozialleistungen gemacht wird. Aus einer Aufstellung (auf Seite 36) geht allerdings hervor, dass im Jahr 2013 rund 12,5 Millionen Lohnabhängige 95,4 Milliarden Euro eingezahlt, aber 8,8 Millionen Rentner in dieser Sparte 110,8 Milliarden Euro erhalten haben. Der Fehlbetrag: 15 Milliarden. Mit fast vier Milliarden im Minus ist auch die Kasse der Handwerker, die Kaufleute weisen einen Überschuss von 500 Millionen auf, die Landwirte im Ruhestand kassieren 4,5 Milliarden, und damit viermal mehr, als die aktiven Bauern einzahlen. Auch die Kasse der öffentlichen Bediensteten (Ex-ENPALS) ist mit acht Milliarden im Minus. Dies bedeutet: Die Staatszuschüsse von 97 Milliarden dienen nicht allein Zuwendungen im Rahmen der Sozialhilfe, sondern werden laut Haushaltsplan zu einem Drittel benötigt, um Löcher in den Rentenkassen zu stopfen, wobei unterm Strich noch immer ein Milliarden-Defizit bleibt. Eine finanzielle Gesundung setzt eine Abnahme der Anzahl der Rentner (eine solche ist nicht in Sicht), einen deutlichen Anstieg der Beitragszahler (der wird seit Jahren erhofft, aber es ist eher das Gegenteil der Fall), eine Anhebung der Beiträge (die es nicht geben kann, weil die Sozialabgaben in Höhe von 35 bis 38 Prozent schon außerordentlich hoch sind) oder aber eine Absenkung des durchschnittlichen Rentenniveaus voraus, zu der es mit Anwendung der Berechnung nach den insgesamt bezahlten Beiträgen kommen wird. Eine Wirtschaftskrise, wie sie Griechenland erlebt hat, würde das Rentensystem wohl nicht ohne weitere Einschnitte überleben, aber einen Crash-Test, wie er jetzt für Banken durchgeführt wurde, muss sich das INPS nicht unterziehen.
Auf Deutsch heißt das INPS offiziell „Nationalinstitut für Soziale Fürsorge“ (NISF). „Previdenza“ (= Vorsorge) wurde dabei fälschlicherweise mit Fürsorge (assistenza) übersetzt, was aber de facto angesichts der Lage gar nicht so abwegig ist. INPS-Regionaldirektor Marco Zanotelli hat kürzlich im Landtag den Jahresbericht 2014 für Südtirol vorgelegt. Auf die Kardinalfrage, ob das INPS hierzulande mehr einnimmt, als es ausgibt, konnte aber auch er keine Antwort geben, da das Institut zwar weiß, wie hoch seine Zahlungen an in Südtirol ansässige Rentner sind, aber nicht genau eruiert werden kann, wie viel es einnimmt, da Beiträge, die Südtirol betreffen, auch in Mailand oder Rom eingezahlt werden können. Der jährliche Finanzfluss (alle Einzahlungen und alle Auszahlungen zusammengezählt) beläuft sich auf rund 4,4 Milliarden Euro.
Fest steht: Es gibt in Südtirol nur 17.084 beim INPS eingetragene Unternehmen, das sind solche, die mindestens einen Arbeitnehmer beschäftigen. Insgesamt zählt das INPS hierzulande 283.332 Beschäftigte, wobei zu erwähnen ist, dass sich der Überhang im Vergleich zur Zahl der Erwerbstätigen laut ASTAT (etwa 250.000) wohl mit dem Umstand erklärt, dass manche Versicherten zwei INPS-Positionen haben. Insgesamt werden 154.090 Vor- und Fürsorgeleistungen ausbezahlt, davon 151.653 Vorsorgerenten (also solche, für einmal Beiträge gezahlt worden sind) und 2.427 Fürsorgerenten. Im Sektor Vorsorgerenten entfallen 92.202 auf Alters- bzw. Dienstaltersrenten, 28.797 auf Hinterbliebenenrenten und 7.320 auf Invalidenrenten. Die gesamten Rentenausgaben im Vorsorgebereich belaufen sich auf 1.956 Millionen Euro, davon 1.385 Millionen im privaten Sektor, 571 Millionen für öffentliche Angestellte (Ex INPDAP) und 13,8 Millionen für Sozialrenten.
Der Unterschied zwischen der Anzahl der Renten und jener der Rentner erklärt sich aus dem Umstand, dass viele Rentner nicht nur eine Rente bekommen, wobei die häufigste zweite Rente die Hinterbliebenenrente ist.
Von den 92.202 Vorsorgerenten bewegt sich der relativ stärkste Anteil (30.000) im Bereich zwischen 500 und 750 Euro im Monat, gut 16.000 Rentner bekommen 750 bis 1.300 Euro im Monat, 13.500 zwischen 1.300 und 1.750 Euro. Immerhin 2.000 Rentner streichen über 3.000 Euro im Monat ein.
Interessant ist ein eingehender Blick auf die Beitragsrenten, die etwa je zur Hälfte (43.000) auf ehemalige Arbeitnehmer und ehemals Selbstständige entfallen. Dabei belaufen sich die Dienstaltersrenten (früher 35, heute gut 40 Versicherungsjahre) auf durchschnittlich 1.637 Euro für Arbeitnehmer und 1.070 Euro für Selbstständige. Die Altersrenten, die bei Erreichen des Rentenalters anfallen und an den bis dahin getätigten Beitragszahlungen bemessen werden, sind mit durchschnittlich 600 Euro weit geringer. Wenig eingezahlt, wenig Rente, lautet die einfache Formel. Eine Gliederung nach Geschlecht zeigt: 74.836 Frauen erhalten im Schnitt 603 Euro, 55.910 Männer dagegen 1.118 Euro.
Von den gut 17.000 Unternehmen mit Mitarbeitern entfallen gut 24 Prozent auf das Gastgewerbe, 21 Prozent auf den Handel, 12 Prozent auf das verarbeitende Gewerbe und je 11 Prozent auf Freiberufler und ähnliche Selbstständige sowie Bauunternehmen. Im Vergleich zu 2013 ist die Zahl der Firmen im Baugewerbe um 10 Prozent und jener im Verarbeitenden Gewerbe um 3 Prozent zurückgegangen, der höchste Zuwachs (7 Prozent) wurde im Gastgewerbe registriert. Nur 17,5 Prozent der Unternehmen mit Mitarbeitern zählen zehn oder mehr Mitarbeiter, in realen Zahlen sind das knapp 3.000 Betriebe.
Von den 283.000 beim INPS Versicherten sind 145.000 Arbeitnehmer in der gewerblichen Privatwirtschaft, gut 49.000 Beschäftige in der öffentlichen Verwaltung, 9.500 Arbeiter in der Landwirtschaft, gut 4.000 Hausangestellte, 15.500 Handwerker, 23.500 Kaufleute und Gastwirte, 20.000 Landwirte und 16.500 Beschäftigte, die in der Sonderverwaltung eingetragen sind.
In allen drei Sparten der Lohnausgleichskasse wurden 2013 gut 6,9 Millionen Stunden genehmigt, deutlich mehr als 2011 und 2012, aber etwas weniger als 2009 und 2010, als es über 7 Millionen Stunden waren. In Anspruch genommen wurde die Lohnausgleichskasse vor allem vom Verarbeitenden Gewerbe (35%), dem Baugewerbe (33%) und dem Handel (29,5%).
2013 wurden 22.100 Anträge um ordentliches Arbeitslosengeld (ASPI) angenommen, so viel wie noch nie; dazu kommen über 10.000 Anträge um Mini-ASPI, und knapp 3.400 um Arbeitslosengeld in der Landwirtschaft. (RW)
Info 1: Renten nach Kategorie und Betrag laut Zahlen der INPS
Info 2: Entwicklung der Renten nach Rentenfonds laut Zahlen des INPS