Bozen – Am heutigen 17. Juni feierte Eurac Research mit einem offiziellen Festmoment das 30-jährige Bestehen.
Mit den Bereichen Sprache und Recht, Minderheiten und Autonomien sowie alpine Umwelt ist die Forschung von Eurac Research vor 30 Jahren gestartet. In all diesen Bereichen arbeitet das Forschungszentrum noch heute. Beispielsweise mit wiederholten Erhebungen der Sprachkenntnisse in Südtirols Schulen, um die Entwicklung beobachten zu können und mit der Ausarbeitung von Lehrmaterialien im Austausch mit den Lehrkräften, um die Ressource der Mehrsprachigkeit im Unterricht auszuschöpfen.
Gesellschaftliche Integration und politische Teilhabe fördern
Zu Fragen des Minderheitenrechts, des Föderalismus und der Autonomie hat Eurac Research mittlerweile wertvolles Know-how aufgebaut, das es im Center for Autonomy Experience weitergibt. Ziel ist es nach wie vor auch, die gesellschaftliche Integration und politische Teilhabe zu fördern, etwa mit dem Migrationsreport für Südtirol, der mit umfassenden Daten und Analysen gängige Vorurteile widerlegt.
Rund um die Themen Covid-19-Pandemie, Klimakrise und Verlust der Biodiversität entstanden in den vergangenen Jahren viele neue Forschungsinitiativen, die nicht nur den Ist-Zustand datentechnisch erfassen, sondern auch konkrete Handlungsvorschläge ausarbeiten bis hin zu technischer Innovation zum Beispiel im Bereich der Solarenergie oder der E-Mobilität, um den Ausstieg aus fossilen Energieträgern voranzutreiben.
„Wir können nicht nur erzählen, was wir durch die Transformation gewinnen – die Menschen müssen am Gewinn partizipieren.”
„Wir haben vor kurzem den Forschungsschwerpunkt ‚Klimawandel und Transformation‘ ins Leben gerufen, an dem Experten und Expertinnen aus den Bereichen Umweltforschung und Energie, Soziologie, Regionalentwicklung, Rechts- und Wirtschaftswissenschaft beteiligt sind. Sie alle arbeiten schon länger zu Aspekten der Transformation, jetzt werden diese Kompetenzen gebündelt“, sagt Stephan Ortner, Direktor von Eurac Research.
So werden einerseits die spezialisierten Forschungsteams wie bisher Daten liefern, überprüfen, ob bisherige Berechnungen noch stimmen und Prognosen erarbeiten. Andererseits werden sie sich damit befassen, wie die lokalen und regionalen Kreisläufe ökonomisch funktionieren können, „damit nicht Menschen sozial abgehängt werden“, so Ortner weiter. „Wir können nicht nur erzählen, was wir durch die Transformation gewinnen – die Menschen müssen am Gewinn partizipieren.”
Biodiversitätsmonitoring zur systematischen Erfassung der Artenvielfalt
Mit dem langfristig angelegten Biodiversitätsmonitoring Südtirol wird erstmals auch die Artenvielfalt in Südtirol systematisch erfasst. Die Limnologin und Eurac Research-Vizedirektorin Roberta Bottarin erklärt: „Mit dieser Forschungsarbeit können wir verstehen, wie rasch sich die Biodiversität ändert und wo solche Veränderungen besonders problematisch sind. Damit liefern wir die notwendige Grundlage für nachhaltige politische Entscheidungen.“
„Man weiß, mit welcher Geschwindigkeit Tier- und Pflanzenarten verschwinden, aber ich glaube, den meisten Leuten ist nicht bewusst, dass mit jeder Art auch ein Teil von uns selber verschwindet – ein Teil unseres evolutionären Erbes, aber auch unserer Zukunft.“
So wird der Rückgang der Artenvielfalt von einigen Expert:innen als ähnlich folgenreich wie die Auswirkungen der Klimakrise bezeichnet. Dabei könne man die beiden Krisen fast gar nicht getrennt betrachten, meint Roland Psenner, Präsident von Eurac Research. „Gerade bei uns im alpinen Gebiet ist ja sehr deutlich, wie die Klimaveränderung zu Artenschwund und Artenverschiebung führt. Man weiß, mit welcher Geschwindigkeit Tier- und Pflanzenarten verschwinden, aber ich glaube, den meisten Leuten ist nicht bewusst, dass mit jeder Art auch ein Teil von uns selber verschwindet – ein Teil unseres evolutionären Erbes, aber auch unserer Zukunft. Biodiversität zu erhalten hat ganz konkrete Folgen und Vorteile. Nicht nur für die Landwirtschaft, auch für die Medizin: Die meisten medizinischen Wirkstoffe kommen aus dem Pflanzen- und Tierreich und aus der Mikrobiologie.”
Grundlagenforschung wesentlich
Besonders im Zuge der Pandemie hat sich gezeigt, wie wichtig die Grundlagenforschung in der Biomedizin ist. So bildet die CHRIS-Studie, mit der Eurac Research gemeinsam mit dem Südtiroler Sanitätsbetrieb seit mehr als zehn Jahren umfassende Daten zum Gesundheitszustand der Bevölkerung sammelt, eine wertvolle Forschungsressource: Die Daten fließen in die weltweit umfangreichste Forschung zu Genetik und Covid-19 ein, wodurch unter anderem genetische Faktoren identifiziert werden konnten, die einen schweren Covid-19-Verlauf verursachen können.
Als Langzeit-Bevölkerungsstudie erforscht die CHRIS-Studie verbreitete Erkrankungen und ihre Ursachen sowie geeignete auf den Menschen individuell zugeschnittene Therapien. Damit Menschen angesichts der alternden Gesellschaft möglichst lange gesund und unabhängig bleiben, wird bei Eurac Research auch an technologischen und digitalen Lösungen geforscht, die im Alter ein selbstbestimmtes Leben im eigenen Zuhause ermöglichen können.
Nicht nur Zukunft, auch Vergangenheit im Blick
Es wird aber auch weit in die Vergangenheit zurückgeschaut, um Erkenntnisse zur Entwicklung der Menschheit zu gewinnen, etwa bei der Analyse von Mikroorganismen an bis zu jahrtausendealten Mumienfunden. Dadurch konnten wichtige Erkenntnisse zum Mikrobiom – der Gesamtheit der Bakterien in unserem Darm mit einer wichtigen Rolle für unser Immunsystem – und seiner Entwicklung beigesteuert werden.
Solche Erkenntnisse erzielen die Forscherinnen und Forscher mit modernsten Methoden und Techniken in ihrem Labor für antike DNA. Das ist eine der innovativen Infrastrukturen und Labors von Eurac Research im NOI Techpark – so wie auch der weltweit einzigartige terraXcube, das Zentrum für Extremklimasimulation, in dem alle Klimabedingungen der Erde nachgestellt werden können. Hier werden unter anderem die Auswirkungen der Höhe auf den menschlichen Körper erforscht: Die Wissenschaftler können beispielsweise ganze Notfallszenarien simulieren und untersuchen, wie sich die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit von Rettungspersonal oder auch die Wirksamkeit von medizinischen Geräten unter extremen Bedingungen verändern. Dadurch können Rettungseinsätze optimiert werden.
„Weltweit vernetzt, ist die Eurac heute die größte Forschungseinrichtung in unserem Land. Ein Ort, wo Forscher- und Unternehmergeist sich tatkräftig und produktiv in den Dienst zentraler gesellschaftlicher Zukunftsfragen stellen.“
Ausgehend von ihrer Forschungsarbeit – zuletzt etwa auch zum Tourismus in Südtirol – bringen sich die Forscherinnen und Forscher von Eurac Research immer wieder in den Diskurs um die Entwicklung des Landes ein. „Die Eurac, gegründet im Jahr der Streitbeilegung, ist Ausdruck des politischen Spielraums, den unser Land mit der Autonomie errungen hat“, sagt Landesrat Philipp Achammer, der an der Jubiläumsfeier teilnahm. „Mit Mut und Weitsicht haben die Verantwortungsträgerinnen und -träger die Erfolgsgeschichte der Eurac in den vergangenen 30 Jahren immerzu weitergeschrieben. Weltweit vernetzt, ist sie heute die größte Forschungseinrichtung in unserem Land. Ein Ort, wo Forscher- und Unternehmergeist sich tatkräftig und produktiv in den Dienst zentraler gesellschaftlicher Zukunftsfragen stellen.“
Dies alles ist im Bozner Forschungszentrum dank rund 600 Mitarbeiter:innen möglich – Durchschnittsalter ist 39 Jahre. Gearbeitet wird in elf Instituten und fünf Centern mit mehr als 1.300 Forschungspartnern auf allen Kontinenten. Die Daten werden in der Cloud mit einer Kapazität von 1,5 Petabyte gespeichert. Die Forscher:innen stammen aus 46 Ländern, sprechen 34 Sprachen und arbeiten interdisziplinär an den großen Herausforderungen der Zukunft: für die Gesundheit der Menschen, für eine intakte Umwelt, nachhaltige Energie, für funktionierende politische und soziale Systeme.